Sten 6 - Morituri-Die Todgeweihten
ganz einfach, aber sonst würde es auch keinen Spaß machen. Trotzdem möchten wir diese Sache noch eine Zeitlang für uns behalten, wenn es Ihnen nichts ausmacht."
Es machte ihnen nichts aus. Kenna trug das ganze Risiko. Avri wußte, daß niemand sauer auf Walsh sein würde. Er war nur der Strohmann.
Damit war das Geschäft perfekt. Dann sprach Raschid den nächsten Schritt an: das
Wahlkampfthema. Yelad repräsentierte den Status quo. Kenna die Arbeiterschaft. Walsh hingegen hatte nichts als leere Worte zu bieten. Er brauchte ein Ziel, einen Gegner. Raschid hatte hierfür den Gringo-Trick in der Hinterhand. Außer ihm kannte keiner der Anwesenden den Ursprung dieses Ausdrucks, doch auch ohne nähere Erläuterung wußten sie, was er damit meinte. Greif den Außenseiter an, einen großen, mächtigen Gegner, der weit entfernt ist, ein Gegner, dem man die Schuld an allem in die Schuhe schieben kann.
Walshs großes Thema war also das
Privatkabinett. Sie waren daran schuld, daß nach dem Tod des Imperators alles den Bach runterging.
Sie trugen die Schuld daran, daß es kein AM2 mehr gab, daß die Zustände immer trostloser wurden.
Damit war Yelad gezwungen, das Kabinett zu verteidigen. Tat er das nicht, war er gemeinsam mit dem allmächtigen Imperialen Kabinett dem Untergang geweiht.
Als Raschid diese Idee noch vor der
Zusammenkunft zur Sprache gebracht hatte, war Kenna so begeistert davon, daß er darüber beinahe die ganze Sache mit Walsh vergessen und die Kampagne am liebsten selbst durchgezogen hätte.
Raschid verwarf diese Idee. Er wies darauf hin, daß Kenna als Präsident des Konzils der Solons das Kabinett mit einer Attacke sehr verärgern würde.
Raschid versicherte Kenna, daß er derartige Aktionen weder nötig hatte noch brauchen konnte.
Bei dem Gedanken daran wurde ihm selbst wieder höchst unwohl zumute, obwohl er auch diesmal nicht wußte weshalb.
"Diese Aufgabe kann der Strohmann erledigen", sagte Raschid. "Bei ihm denkt jeder, daß er nach Strohhalmen greift, weil er anders nicht gewinnen kann. Egal, was er tut oder sagt, sie werden sich nicht groß darum kümmern und die ganze Sache einfach ignorieren."
Das mußte man ja Walsh nicht unbedingt auf die Nase binden. Es genügte vollauf, wenn Avri wußte, was damit gemeint war.
Als sie die Bar verließen, war Kenna
ausgesprochen gut gelaunt. Alles lief wie am Schnürchen. Raschid wollte, daß er zufrieden blieb, und so lobte er ihn für seinen Auftritt.
"Der Trick, den Sie da gerade angewandt haben, wurde von einem wahren Meister erfunden", sagte Raschid. "Er wurde Rossthomas genannt."
"Und was heißt das?" erkundigte sich Kenna mit gewölbten Augenbrauen.
"Das heißt, daß jetzt sämtliche Blödmänner in dieser Stadt auf Ihrer Seite sind", antwortete Raschid.
Kenna lachte, bis sie im Hauptquartier eintrafen.
Es folgten andere Treffen mit Schlüsselfiguren, die bestochen, ein geweiht oder auf Linie gebracht werden mußten, zumeist in einer Kombination aus allen drei Verfahren. Die Resultate sahen zum Glück alle sehr ähnlich aus.
Ein Treffen wollte Raschid jedoch auf jeden Fall allein durchziehen.
Der Name der Gangsterchefin war Pavy. Sie galt als die härteste, schlauste und unerbittlichste Figur des gesamten kriminellen Hochadels von Dusable.
Ihr unterstanden ein Dutzend der größten unabhängigen Bezirke. Hier durchlief nicht eine einzige Münze das System, an der sie nicht ihren Anteil hatte. Sie hatte ihre Finger in allen möglichen illegalen Geschäften, angefangen von Joygirls und Joyboys bis hin zu harten Betäubungsmitteln. Die bissigsten und am besten informierten Kredithaie arbeiteten für sie, und ihre Diebe waren die gerissensten. Außerdem sah Pavy atemberaubend aus.
Sie war mittelgroß, doch in dem enganliegenden Body, den sie trug, als sie Raschid empfing, schienen ihre Beine bis in die oberen
Atmosphäreschichten hinaufzuragen. Sie hatte schwarzes, sehr kurzgeschnittenes Haar; so schwarze Augen wie die ihren hatte er noch nie zuvor gesehen, und in den Pupillen glitzerte ihre Intelligenz wie zwei harte, diamantene Punkte. Sie trafen sich in einem kleinen gemütlichen Raum tief im Innern des einen Quadratkilometer
umspannenden Sündenlabyrinths, das sie The Club nannte.
Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten, schickte Pavy ihre vierschrötigen Assistenten hinaus. Raschid war bereits in dem bombensicheren Raum direkt hinter dem Eingang peinlichst genau gefilzt worden. Natürlich konnte Raschid jederzeit
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