Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Amerikaner Varian Fry als Abgesandter eines privaten Rettungskomitees leitete. Zu seinen Mitarbeitern in Marseille gehörte Daniel Bénédite, den die Hessel-Söhne aus ihrer Pfadfinderzeit in Paris kannten. Über ihn kamen sie auch in Kontakt mit Fry, mit dem Stéphane sofort sympathisierte. Er machte mit ihm Erkundungstouren in der Provence, da sich der Amerikaner ein Bild von der Lage verschaffen wollte und die südfranzösische Landschaft besonders liebte. Auf diesen idyllischen Ausflügen in kritischer Zeit müssensich Fry und Hessel auch persönlich sehr nahegekommen sein.
Das amerikanische Rettungskomitee, dem auch Franzosen und deutsche Emigranten angehörten, versuchte, Flüchtlinge, die keine gültigen Papiere hatten, auf Schleichwegen über die Pyrenäen außer Landes zu bringen. In Spanien drohte ihnen trotz des Franco-Regimes keine Gefahr. Das aber wusste man noch nicht, als die erste Gruppe loszog, der auch Walter Benjamin angehörte; er geriet in Panik, als die Flüchtlinge in Port Bou aufgehalten wurden. Von vielen Demütigungen und Ängsten erschöpft und die Auslieferung nach Deutschland befürchtend, nahm er sich das Leben. Tatsächlich bestand jedoch keine Gefahr in Spanien, die anderen Flüchtlinge aus der Gruppe konnten bald weiterziehen, erreichten Lissabon und von dort auf dem Seeweg Amerika. Spätere Gruppen kamen leichter durch, vor allem, wenn man den spanischen Zöllnern Geld oder Zigaretten zusteckte.
Für die eigene Familie kam diese Hilfe nicht in Frage. Im April 1940 hatten sich Helen, Franz und Ulrich nach Sanary begeben, noch bevor Mitte Mai der Vormarsch der Wehrmacht einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in den Süden auslöste. Ulrich hatte zu jener Zeit schon eine schwere Erfahrung hinter sich. Im September 1939 wurde er als »feindlicher Ausländer« interniert, wie alle deutschen Männer zwischen 17 und 55 Jahren (weshalb Franz frei blieb). Die Behörden der Französischen Republik verfuhren dabei ganz schematisch und nahmen keine Rücksicht darauf, wer Nazigegner und wer Nazianhänger, wer Emigrant und wer vielleicht völlig unpolitisch war.
Sportstadien dienten als Stätten der Internierung. Ulrich musste ins Stade de Colombes, den Austragungsort der Olympischen Sommerspiele von 1924 in einem kleinen nordöstlichen Vorort von Paris. Zu seinen Leidensgenossen gehörten Emigranten wie Walter Benjamin, HermannKesten, Hans Sahl, Willi Münzenberg oder der Maler Wols. Außer den internierten deutschen Juden und Hitler-Gegnern befanden sich dort auch 50 Nazianhänger, sogenannte Reichsdeutsche, die aber von den anderen getrennt wurden, nachdem es zu Schlägereien gekommen war.
Geschlafen wurde unter den Zuschauerbänken. Innerhalb des Stadions durfte man sich frei bewegen, wurde auch zu keinen Arbeiten gezwungen. Die hygienischen Verhältnisse und das Essen waren in diesem improvisierten Lager miserabel. Jeder Fliegeralarm löste bei Ulrich epileptische Anfälle aus, so dass er die meiste Zeit im Krankenrevier verbrachte. Französische Freunde intervenierten, vor allem Gabrielle Picabia, die Frau des Malers, und tatsächlich kam Ulrich nach drei Wochen wieder frei. Den Winter 1939/40 verbrachte er zusammen mit seinen Eltern in der wegen Kohlenmangels schlecht geheizten Wohnung in der Rue de Grenelle. Im April beschloss man, sich in den kleinen Rosengart-Wagen zu setzen, über den man verfügte, und sich an die Côte d’Azur zu begeben. Am Steuer saß natürlich Helen.
In Sanary kamen sie zunächst in der Villa der Huxleys unter. Aldous und Maria Huxley waren 1937 nach Kalifornien ausgewandert, ihr Haus war aber nicht verkauft worden. Nun wohnte dort Stéphanes erste Geliebte Jeanne Nys mit ihrem Mann Georges Neveux. Später fanden die Hessels Unterkunft in einem schmalen Haus mit kleinem Turm, das einer ehemaligen Opernsängerin gehörte, Madame Richarme. Ulrich und seine Mutter schliefen in einem Raum, der Vater konnte sich ein enges Schlaf- und Arbeitszimmer im Turm einrichten. Seine kleine Reiseschreibmaschine der Marke Erika hatte er behalten können. Hier entstanden letzte Aufzeichnungen und Romanentwürfe.
Als im Mai 1940 der Krieg offen ausbrach, nahmen die französischen Behörden wieder die Praxis der Internierungen auf. Nun wurden alle Männer bis zum 65. Lebensjahrund alle Frauen bis 60 interniert. Ulrich und Franz sowie einige andere Emigranten aus dem Ort (unter ihnen Lion Feuchtwanger) wurden zunächst in einer Halle bei Toulon interniert und schließlich mit dem
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