Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Aufenthalt in London aufgenommen hatte, machte eine Zeugenaussage zu seinen Gunsten, und Stéphane kam frei.
Viele französische Soldaten, die sich 1940 zufällig in England aufhielten, gingen zurück nach Frankreich. Nur wenige glaubten an die Mission von de Gaulle, dessen Anhänger zunächst nur ein kleines Häufchen bildeten. Dass er ein anderes, ein neues Frankreich repräsentierte, nahmen ihm auch die Engländer nicht so recht ab und behandelten ihn nicht gerade achtungsvoll. Am 17. Juni 1940 hatte Marschall Pétain die Deutschen um Waffenruhe ersucht. Daraufhin war der Unterstaatssekretär im Verteidigungsministerium, Charles de Gaulle, ein Militärtheoretiker mit wenig Kampferfahrung, auf eigene Initiative nach London geflogen und hatte dort am 18. Juni, dem Jahrestag der Schlacht von Waterloo, zur Fortsetzung des Widerstands aufgerufen. In seinem ersten Aufruf gebrauchte er, fast beiläufig, den Begriff »résistance française«. Ein Mythos war geboren, dessen Wirksamkeit sich noch erweisen sollte – auch im Leben von Stéphane Hessel.
Nur einmal ist Stéphane Hessel dem General in London begegnet. Zusammen mit Louis Closon, der kurz vor ihm eingetroffen war, wurde er ins Hotel Connaught eingeladen, zu einem Essen mit Charles de Gaulle und dessen Frau Yvonne. Der General war höflich, hörte seinen Gästen aufmerksam zu. Stéphane war beeindruckt von dem sehr großen, etwas unbeholfenen Körper und dem Gesicht mit dem stolzen Ausdruck. »The Connaught Carlos Place Mayfair«, wie das Hotel offiziell hieß, lag im Bezirk London W1K 2AL. Bis 1917 hatte es »The Coburg Hotel« geheißen. Aber das wollte niemand als böses Omen verstehen. Dazu gab es auch keinen Grund, denn die Engländer hatten im Herbst 1940 die Luftschlacht gegen Deutschland gewonnen, eine Invasion verhindert und damit die entscheidende Basis für eine Befreiung Europas geschaffen, zu einem Zeitpunkt, als Stalins Russland noch mit Hitler verbündet war, die USA sich neutral verhielten und auf dem Kontinent keine Macht zu sehen war, die der Wehrmacht hätte Paroli bietenkönnen. Die Hoffnung für Europas Freiheit hieß England. Das galt auch für die Franzosen, die vom englischen Boden aus den Widerstand in ihrer besetzten Heimat zu koordinieren versuchten.
In diesem Kampf wollte Stéphane Hessel nützlich sein. Da in der Verteidigung und im Angriff auf den Feind die Luftwaffe von entscheidender Bedeutung war, hoffte er auf eine Ausbildung zum Piloten in Bombenflugzeugen. Zunächst aber kam er für ein paar Wochen zu einer Infanterieeinheit in Camberley südwestlich von London, zu der nur Franzosen gehörten. Mit zweien von ihnen freundete sich Stéphane an. Tony Mella war der Sohn des Besitzers des Hôtel Ritz in Paris, in dem nun die Offiziere der deutschen Besatzungsmacht hausten. Genau wie Stéphane liebte Mella Sprachspiele, Wortscherze, Gedächtnisakrobatik. Daniel Cordier war noch keine 20 Jahre alt, als er im Sommer 1940 mit einem kleinen Boot von Bayonne aus die Route zur englischen Küste fand. Politisch kam er von sehr weit rechts, aus einer monarchistischen Gruppe. Die Résistance, und gerade die Anhänger der France Libre, waren eine bunt gemischte Truppe, wie es die Gaullisten nach dem Krieg bleiben sollten.
Ein weiterer Kamerad war Christian Fouchet, einst Mitschüler in der École Alsacienne. Fouchet wollte auch zur Luftwaffe, der FAFL (Forces aériennes françaises libres), aber dort wurde Stéphane nicht zum Piloten, sondern zum Navigator ausgebildet (Air observer), an denen großer Bedarf herrschte. Karten lesen konnte Stéphane, mechanische Apparaturen machten ihm eher Angst. Zu einer Kompanie gehörten je 15 Franzosen mit einem britischen Chef. Auch ein Veteran hatte sich ihnen angeschlossen, Major Philippe Livry-Level, der sein wahres Alter verschwiegen hatte, denn er wollte unbedingt als Pilot eingesetzt werden, um sein Anwesen an der Küste der Normandie zu überfliegen, das die Deutschen beschlagnahmt hatten – was ihm auch gelang.
Stéphane Hessel begann seine Ausbildung in Millom, an der Grenze zu Schottland gelegen, und beendete sie in Wales bei Cardiff. In Erinnerung blieben ihm auch die blonden Frauen von der WAAF (Women Auxiliary Air Force). Er machte Probeflüge, übte auch Notlandungen. Die Prüfung bestand er im März 1942. Aber bevor er in ein französisches Luftgeschwader eintrat, kam sein Freund Tony Mella auf ihn zu und machte ihm den Vorschlag, in den militärischen Geheimdienst der Gaullisten
Weitere Kostenlose Bücher