Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
einzutreten, zunächst SR genannt (Service de renseignement), später BCRA (Bureau de contre-espionnage, de renseignement et d’action), geleitet von »Colonel Passy« (dessen wahrer Name André Dewavrin lautete). Dort hielt man Kontakt zu Widerstandsgruppen im besetzten Frankreich, empfing per Funk Informationen, schickte Kundschafter, Material und Geld dorthin. Die Abteilung R (Renseignements = Nachrichtendienste) des BCRA unterstand André Manuel; ihr wurde Stéphane Hessel zugeteilt. Zu den Aufgaben gehörte auch die Koordination der französischen Dienste mit der militärischen Führung der Alliierten.
Mit seiner Vielsprachigkeit und seinem phantastischen Gedächtnis war Stéphane bei der »intelligence« nützlicher als bei der Luftwaffe. Das Büro seiner Abteilung lag zunächst am Saint James’s Square im Londoner Westend, wurde später aber verlegt in die Duke Street östlich des Hyde Park. Seine beiden Chefs, Passy und Manuel, waren völlig unterschiedliche Charaktere. Der Erstere war eiskalt und streng; der andere gab sich charmant, konnte mehr Gedichte auswendig als Stéphane, was dessen Ehrgeiz anstachelte und einen freundlichen Wettstreit zwischen ihnen auslöste.
Es existierte eine Abteilung für Gegenspionage, der die Briten sehr misstrauten, eine Abteilung für militärische Aktion und Sabotage sowie eine politische Abteilung, geleitet von Passy. Stéphane arbeitete sich ein in die Struktur der Informationsnetze auf französischem Boden. Seine Tätigkeitlag also weder im Zweig Aktion (Sabotage, Waffen, Versorgung des Maquis) noch in der politischen Abteilung (Zeitungen, Flugblätter, Gruppengründung), sondern im eigentlichen Nachrichtendienst. Die von ihm geführten Agenten bewegten sich mit falschen Papieren frei in der französischen Bevölkerung, gingen nur dann in den Untergrund, wenn sie gefährdet waren. Die Engländer von der SOE (Special Operations Executive), der Abteilung für spezielle Aktionen auf dem Kontinent, denen sie zuarbeiteten, verstanden diese Methode nicht, die der alten französischen Institution der Renseignements Généraux entstammte, sie waren nur an harten militärischen Informationen interessiert. Der Leiter der SOE, Oberst Maurice Buckmaster, setzte nur Profispione oder einstige Mitglieder des Intelligence Service ein. Erst als die Franzosen mit ihren Methoden Erfolge erzielten und brauchbare Informationen über Truppenbewegungen, Truppenstärke, Marinestützpunkte und Bewaffnung lieferten, begannen die Briten sie zu achten. Aber ohne Reibereien lief es nicht ab, und noch nach dem Krieg wurde manche Rivalität ausgetragen, auch der Franzosen untereinander. De Gaulle wollte ohnehin über alles die Kontrolle behalten; für ihn ging es immer auch um die Vorbereitung der Nachkriegspolitik und seiner Rolle dabei.
Die französischen Methoden waren nicht ohne Risiko. Den Deutschen gelang es immer wieder, Résistance-Gruppen zu infiltrieren, zumal deren Anhänger nicht immer diskret genug waren und sich gern ihrer Taten rühmten. Dank ihrer guten Abhörtechnik konnten die Deutschen die Funker der Widerstandsgruppen leicht enttarnen, verhaften und mit Hilfe der Folter umdrehen. Die Folge waren hohe Verluste. Auch glaubten die Gaullisten in London recht naiv, dass alle Franzosen im Mutterland auf ihrer Seite stünden. Die Macht der Kollaboration und der Vichy-Milizen, aber auch die reelle Popularität von Marschall Pétain wurden leichtfertig unterschätzt. Die nach dem Krieg gefundenensieben Millionen Denunziationsbriefe sprechen auch nicht eben dafür, dass die französische Bevölkerung geschlossen hinter de Gaulle stand.
Im Oktober 1942 meldete sich ein amerikanischer Freund von Vitia bei Stéphane, Patrick Waldberg, geboren in Santa Monica, nun Soldat der US-Army. Er war ein guter Freund der Surrealisten Breton und Duchamp. Waldberg kündigte Vitias Kommen an. Einige Monate lang hatte sie in New York bei der Journalistin Geneviève Tabouis gearbeitet, für die Zeitung
La Marseillaise
. Zu den Gaullisten in New York gehörten Henri Laugier, Leiter der Vereinigung France Forever, Vitias Vater Boris Mirkine, der Ethnologe Claude Lévy-Strauss, der Maler François Quilici, Geneviève Tabouis. Sie alle warben für den Kriegseintritt der USA, der erst nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 erfolgte. Aber es gab auch politische Gegner unter den Franzosen in New York, wie den Diplomaten und Dichter Saint-John Perse (i. e. Alexis Léger), den
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