Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Mondphasen abhing.
Ende März 1944 bestieg Stéphane eine leicht gebaute Westland Lysander, ein einmotoriges, unbewaffnetes Verbindungsflugzeugdes britischen Herstellers Westland Aircraft, seit 1938 bei der Royal Air Force im Einsatz. Seine Lysander landete in einer Märznacht bei Saint-Amand-Montrond im Département Cher, 300 Kilometer südlich von Paris, nahe Bourges. Es hieß rasch aussteigen, denn schon zehn Minuten später startete die Maschine in Gegenrichtung mit einem Emissär an Bord, der in London erwartet wurde. Drei Jahre hatte Stéphane in London zugebracht und die Gelassenheit, die Entschlossenheit und den Humor der Briten schätzen gelernt. Sie machten Witze über alles und alle, auch über die verbündeten Franzosen und Amerikaner. Nun aber musste er sich wieder mit seinen (neuen) Landsleuten zurechtfinden. Es war seine zweite Ankunft in Paris.
»Greco« – diesen Namen hatte er sich für seine Mission selbst gewählt. Für ihn gab es in Paris drei Verbindungsagenten. Sein erster Kontakt hieß Godefroy, den er aus London kannte. Weiterhin leitete er zwei junge Leute, Jean-Pierre Couture und Jacques Brun. Genau wie Stéphane wurden beide verhaftet und überlebten die Lager. Brun leitete nach 1946 die Amicale der Deportierten von Dora. Jean-Pierre Couture wurde nach dem Krieg Vater des Sängers CharlÉlie Couture.
Die Netze, mit denen er in Verbindung trat, kannte Stéphane von London her, vor allem das Netz Phratrie, dem er nun angehörte. Im besetzten Land lernte er die realen menschlichen und technischen Probleme kennen, über die er sich von seinem Londoner Büro aus immer geärgert hatte. Man traf sich fast jeden Morgen in der Wohnung von Jean-Pierre Couture in der Rue Delambre in Montparnasse zur Lagebesprechung beim Frühstück. Man verteilte Geld, falsche Papiere oder Quarze für die Funkgeräte. Jeder neue Kontakt bedeutete Gefahr, aber ohne Kontakte hätte das Netz nicht arbeiten können.
Mit der Zeit ließ die Vorsicht nach. Der deutschen Besatzungsmachtwar es gelungen, einen Schein von Alltag zu erzeugen. Wenn man die deutschen Uniformen und die Hakenkreuzfahne sowie die Verkehrsschilder in deutscher Sprache übersah, konnte man glauben, alles sei wie früher. Es gab ein sehr reges kulturelles Leben mit vielen Zeitungen, mit aufregenden Theaterstücken, grandiosen Filmen. Wichtige Bücher erschienen, neue Autorennamen wurden berühmt. Aber es war nur ein Ersatz-Paris, wie man an der schlechten Versorgungslage merkte (bei blühendem Schwarzhandel), an den vielen Surrogaten (für Kaffee, Schuhsohlen oder Mehl), aber auch an den gelegentlichen Attentaten gegen die Besatzer und den darauffolgenden Geiselerschießungen.
Allerdings hatten sich die Deutschen in der selbstgeschaffenen Fiktion eines beruhigten Paris sehr bequem eingerichtet. An die Ostfront versetzt zu werden war die schlimmste Strafe. Die Okkupation korrumpierte letztlich die Okkupanten. Und die Résistance, zumal die kommunistische, versuchte, mit spektakulären Aktionen das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass noch Krieg herrschte. Doch war diese Politik in den eigenen Reihen nicht unumstritten. Allerdings ging die Résistance kaum auf die Tatsache ein, dass aus Frankreich Juden deportiert wurden, die einheimischen ebenso wie die nach Frankreich geflohenen.
Im Frühjahr 1944 nahm die Anspannung zu, man ahnte, dass die Alliierten versuchen würden, in Frankreich Fuß zu fassen. In der Vorfreude darauf wurden manche Résistance-Aktivisten unvorsichtig, übermütig, überschätzten auch die eigenen Kräfte, suchten die Konfrontation, wo sie nicht gewinnen konnten, und die Deutschen schlugen immer brutaler zurück. Auch Stéphane und seine Freunde gaben sich nonchalant, besuchten Schwarzmarkt-Restaurants. Die poetische Leidenschaft war nicht vergessen, doch hatten Gedichte nun eine neue Funktion: Sie dienten als Basis für kodierte Botschaften.
Drei Wochen nach der Landung der Alliierten in der Normandie sollte Stéphane nach London zurückkehren. Er folgte dem Befehl nicht, wollte die Befreiung von Paris miterleben – und versäumte sie, weil er am 10. Juli 1944 verhaftet wurde. Der Funker Bambou, von den Deutschen umgedreht, hatte ihn verraten. Nun kamen die eigentliche Prüfung seines Lebens und der teuer erbrachte Beweis, dass er ein Glückskind war.
Gefangenschaft
Seine Lebensretter kann man sich nicht aussuchen. Im wahren Leben sind sie nicht immer so heldenhaft wie im Märchen. Im Lagerleben sowieso nicht. Die
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