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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Fluegge
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Ding-Schuler die tödlichen Spritzen geben ließ und der manches Mal Gegenmittel spritzte, sobald der Arzt außer Sicht war. Dass er unter dem Deckmantel eines harten Regimes versuchte, Leben zu retten, erfuhren nur wenige, durfte niemand erfahren. Doch er misstraute Kogon, der in seinen Augen zu engen Umgang mit Ding-Schuler pflegte. Andere trauten hingegen dem Kapo nicht über den Weg. Aber niemand wusste Genaues vom hundserbärmlichen Leben des Arthur Dietzsch.
    Er stammte aus Pausa in Sachsen, hatte seinen heimatlichen Dialekt behalten. Niedrige, aber breite und kahle Stirn, nach unten hin dreieckig zulaufendes Gesicht, schmale Augen, enganliegende Ohren – die Angst der anderen Häftlinge vor ihm glaubt man sofort. Er war ein harter Hund, aber er war es nach langen Jahren in Haft geworden, und er war kein Schurke, er war eingesperrt worden, weil er zu anständig war. Und das schon im Jahr 1924.
    Nach dem Abitur verpflichtete sich der talentierte, aber perspektivlose Mann im Jahr 1920 bei der Reichswehr. 1924 sollte er, wie schon öfter, Kommunisten verhaften. Auf einer Liste entdeckte er den Vater seiner Freundin. Er warnte ihn, und jener konnte sich in Sicherheit bringen (überlebte später auch das Dritte Reich im mexikanischen Exil). Als Dietzsch auf kommunistischen Flugblättern als Sympathisant genannt wurde, geriet der politisch arglose Offiziersanwärter in Panik, desertierte, stellte sich aber nach wenigen Tagen, da er nicht wusste, wohin. Als Begründung erfand er, dass er einen alten Klassenkameraden gewarnt hatte, an dessen Namen er sich nicht erinnern könne. Ungeschickte Schutzbehauptung, die aber den wirklich Gemeinten schützte. In einem Geheimprozess erlitt der schlecht verteidigte Dietzsch die geballte Niedertracht der Weimarer Justiz und wurde zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt. Und kam nie wieder frei.
    Immer wieder wurde seine Freilassung aufgeschoben. Nie bekam er seine Akten zu sehen, selbst eine Pressekampagne zu seinen Gunsten blieb erfolglos. Und als es endlich so weit sein sollte, kamen die Nazis an die Macht und ließen ihm die »Ehre« zuteil werden, die ersten Lager zu bewohnen, Esterwegen, Lichtenburg, schließlich ab 1938 Buchenwald. Hatte er anfangs noch revoltiert, Selbstmordversuche unternommen, so hatte er sich bald mit seinem Schicksal abgefunden, ein moderner Woyzeck zu werden. Er härtete sich ab, er wurde ein Routinier des Gefängnisalltags, was ihm manchesMal das Leben rettete (ihn aber nicht vor schlimmen Misshandlungen bewahrte). Die eigentliche Tortur sei die Zeit, in der sich nichts ereignet. Dietzsch hatte lange genug gesessen, um dergleichen zu denken und seinem späteren Biographen Ernst von Salomon anzuvertrauen.
    Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten
, das Leben verteidigen, es nicht leichtfertig wegwerfen, auch in den düstersten Momenten. Der Goethe-Vers galt auch für den Kapo Arthur Dietzsch auf dem Ettersberg bei Weimar. Hier oben auf dem Ettersberg kreuzten sich die Schicksale des sächsischen Kapos und des eleganten Goethe-Verehrers und Widerständlers Stéphane Hessel. Zwei Welten, eine unwahrscheinliche Begegnung.
    Kapo, das furchtbare Stummelwort aus dem Lagerjargon, wie das Wort KZ selbst, wo es doch eigentlich KL heißen musste (wie es Eugen Kogon in seinem maßgeblichen Buch
Der SS-Staat
verwendet). Aber in dem Z spiegelt sich symbolisch der Stacheldraht, der Widerhaken des Unrechts, der unterste Grad des Schreckens, das Ende aller Menschlichkeit. Bei Kapo denkt man an abgeschlagene Köpfe. Kapos waren oft Kriminelle (grüner Winkel) – oder aber politische Häftlinge (roter Winkel). Die Grünen gegen die Roten, das war der lagerinterne Krieg. Arthur Dietzsch führte einen roten Winkel, und der lagerinterne Widerstand wollte ihn im Typhusblock halten, wollte gerade dort keinen grünen Winkel als Kapo haben.
    Über den Ursprung des Wortes Kapo hat jeder seine Lieblingstheorie, aber die Etymologie ist hier nicht unschuldig. Es aus dem italienischen Wort
capo
abzuleiten (»Anführer«), verleiht ihm einen unangemessenen Hauch Poesie. Oder man nimmt es als Verweis auf den
fascismo
als schlimme Vorstufe einer noch schlimmeren Form des Terrorregimes. Wahrscheinlicher als diese Erklärung oder als die Ableitung von der Rangbezeichnung »Kaporal« ist, dass es als Kürzel des deutschen Bürokratenworts »Kameradschaftspolizei«entstand (parallel zu Wortbildungen wie Schupo). Der Kapo sollte Befehle der Lagerleitung weitergeben und deren Befolgung

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