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Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell

Titel: Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Fluegge
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nächsten Morgen rückt man ihnen zu Leibe mit Duschen, Desinfektionsmitteln und Haarscheren. Den Friseurdienst leisten andere Gefangene. Sie erzählen, dass man im Lager für diesen Tag mit der Erhängung der Neuen gerechnet habe, denn gewöhnlich lasse man nur die Leute in den Duschräumen schlafen, die am nächsten Tag in die Öfen kommen. Doch ganz so schnell scheint es nicht zu gehen, denn man gibt ihnen gestreifte Kleidung, nie in passenden Größen. Ein Kapo übernimmt das Kommando, weist sie dem Block 17 zu, dem Quarantäneblock. Je zwei Personen teilen sich eine Schlafstelle, aber jeder bekommt eine Decke, was vergleichsweise komfortabel ist.
    Stéphane übersetzt alle Anweisungen ins Französische: Sauberkeit halten, Morgengymnastik, mittags Suppe, Verlassen der Baracke nach 20 Uhr verboten. Der Blockälteste ist ein blonder Deutscher, der schon lange im Lager lebt, er hat einen roten Winkel an der Häftlingsjacke. Schon bald lernen die Neuen den KZ-Jargon: Kapo, Muselmänner(sterbenskranke Elendsgestalten), Block, Kleines Lager, Revier, Typhusbaracke, Krematorium, Tor.
    Auch die Lagerbürokratie kommt zum Zug. Die Gruppe der 37 wird eingestuft als »Politisch Lagerstufe III« – das bedeutet »Rückkehr unerwünscht«. Sie sind 24 Franzosen, zehn Engländer, zwei Belgier, ein Kanadier. Stéphane Hessel bekommt die Lagernummer 10033. Als Geburtsort ist auf einem Formular Paris genannt. Das Kästchen »Rasse« bleibt unausgefüllt. Als Beruf ist Student angegeben, als letzte Anschrift in Paris Rue Campagne-Première Nummer 8bis. Erwähnt ist seine Ehefrau »Victoria geb. Mirkine, lebt in New York«, ebenso, dass er 1939/40 bei der Infanterie gedient hat. Und so beschreibt ihn die Lagerverwaltung: Größe 180 cm. Gestalt schlank. Gesicht oval. Nase gerade. Augen braun. Haare blond. Mund gewölbt. 4 Zähne fehlen. Spricht Englisch, Deutsch, Französisch. Blinddarmnarbe. Einliefernde Stelle BDS Paris (Befehlshaber der Sicherheitspolizei). Den Meldezettel hat Stéphane unterschrieben.
     
    Die Gruppe richtet sich ein. In einer Ecke der Baracke ist eine kleine Frankreichkarte mit Stecknadeln an der Wand befestigt. Über einen Lautsprecher werden gelegentlich Nachrichten verkündet, die einen gewissen Rückschluss auf den Fortgang des Kriegsgeschehens erlauben. Klar ist, dass die Alliierten weiter vorrücken. Man veranstaltet eine Wette über das Datum ihrer Befreiung; der Pessimistischste sagt 15. Januar 1945 und wird für verrückt gehalten. Seltsam ist, dass niemand von ihnen einem Arbeitskommando zugeteilt wird. Das verheißt nichts Gutes. Was hat man mit ihnen vor? Den Tag über müssen sie die Zeit totschlagen.
    Der Engländer Hewitt will ein Streichquartett gründen. Es wird ihm erlaubt. Stéphanes Gruppe spielt Karten. Er sagt ihnen die Zukunft voraus, nach einer Methode, die er von seiner Mutter gelernt hat: Die Befreiung ist nah. Alleglauben es, als am 28. August 1944 ein Bombenangriff die nahe gelegene Waffenfabrik der Gustloff-Werke trifft. Und noch am selben Tag verkündet ein Lautsprecher, dass die Wehrmacht Paris aufgegeben hat (es also befreit wurde, in die Gedanken der Gefangenen übersetzt). Beim Gang durch das Lager trifft Stéphane einen Kameraden aus der École Normale, Christian Pineau, der schon seit 1943 in Buchenwald ist. In Frankreich hatte er der Résistance angehört.
    Die meiste Zeit des Tages verbringen sie mit Spielen: Porträts, Ratespiele, Bridge, aber heimlich, denn Kartenspiele sind verboten. Stéphane erfindet Quartettspiele, in denen es um Métro-Stationen oder Café-Namen aus Paris, das Menü am Tag der Befreiung oder um Plätze in London geht. Jeden Morgen machen sie gymnastische Übungen unter der Anleitung eines jungen Kanadiers, der immer neue Verrenkungen erfindet. Und ebenfalls jeden Morgen kommt ein französischer Häftling vorbei, dem man die Haare gelassen hat, Alfred Balachowsky, ein französischer Wissenschaftler. Er darf unter Aufsicht des SS-Arztes Ding-Schuler weiterforschen. Balachowsky erläutert die hygienischen Regeln, die fürs Überleben wichtig sind. Ein oft plakatierter Spruch lautet: »Eine Laus, dein Tod!«
    Balachowsky war Professor für Entomologie und Zoologie, arbeitete seit 1943 am Pariser Institut Pasteur. In Paris hatte er in Kontakt mit SOE-Agenten gestanden, allerdings keine Ausbildung in London erhalten. Verhaftet wurde er wegen seiner Verbindungen zur Résistance; dass er auch Kontakte zu englischen SOE-Agenten hatte, wusste der SD nicht.

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