Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
überwachen und durch hartes Auftreten Kameradschaft verhindern.
Offiziell hieß es Funktionshäftling. Sie waren verantwortlich für die Sauberkeit, die Arbeitsleistungen und somit gezwungen, die anderen anzutreiben, wurden als üble Kerle erlebt, aber die Lagerleitung bediente sich ihrer, um ja keine Solidarität entstehen zu lassen. Manche erhielten Vergünstigungen, aber eine Überlebensgarantie hatten auch sie nicht. Wer sich bei der SS einschmeicheln wollte, musste besonders brutal sein. Aber es gab auch solche, die diese Funktion, die ihnen den Hass der anderen Häftlinge einbrachte, für Rettungstaten nutzen, allein oder im Verbund.
Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten
– um später Zeugnis abzulegen. Denn die Untaten sollten vertuscht werden, wer immer davon wusste, musste zum Schweigen gebracht werden. Die Herren des Schreckens hatten nicht vor, sich ihrer Vergehen zu rühmen. Zeugnis abzulegen war somit auch ein Akt des Widerstands. Deshalb war Überleben Pflicht, wo immer es möglich war. Das dachte auch Stéphane Hessel, der das Leben liebte.
Wir Nachgeborenen müssen uns nur klarmachen, dass wir niemals die Realität der Lager erfassen können, nicht die der Konzentrationslager und erst recht nicht die der Vernichtungslager. Der scharfe Wind des Todes, der dort wehte, ist unfassbar. Wir sollten nicht darüber phantasieren, wir würden nicht einen Tag dort aushalten. Aber wir sollten nicht vergessen, dass dies Deutschland war, dass Deutschland so war, so sein kann: das Land des allmächtigen, willkürlichen Todes, das Land der zynisch-ungenierten Mörder. Und dass es so nicht blieb, weil viele Menschen ihr Leben einsetzten, um eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen.
Buchenwald. Ein klares deutsches Wort. Ein schöner Klang, dunkel, sicher, fest; ein schlichter Rhythmus in drei Schritten, mit leichtem Abschwung in der Mitte. Ein suggestives Bild erzeugt dieser Klang, man ahnt den dichten und doch lichten Forst, die aufstrebenden Stämme, die helle Rinde, in die man so gut einschnitzen kann. So viel Platz zwischen den einzelnen Stämmen. Und was ist deutscher als ein Buchenwald? Deutsches Kulturerbe. Land der Buchenhaine. Ein vergiftetes Wort, wie so viele in der deutschen Sprache. Ein Kunstwort aus der makabren Poesie der Schlächter. Genau wie Dora oder Birkenau. Aber sie haben auch reale Namen vergiftet wie Dachau, Ravensbrück, Sachsenhausen. Manchmal glaubt man, sie haben die ganze deutsche Sprache vergiftet.
Aber sind die Wörter nicht unschuldig? Haben sie Blut an den Silben, den Lauten, den Rhythmen? So wie manche Leute Blut an den Händen haben? Hat die ganze Sprache ihre Unschuld verloren? (Auf manche Überlebende und sogar auf deren Nachfahren wirkte schon der Klang der deutschen Sprache traumatisierend.) Das Heilmittel erwächst ebendort. Stéphane Hessel kennt das andere Gesicht dieser Sprache und hält daran fest. Auch das ist Widerstand. Wie er nicht an den Menschen insgesamt verzweifelte, nachdem er das radikal Böse erlebt hatte.
Für diese Welt war er nicht gemacht. Für diese Welt aus Folter und Fäkalien, aus Brüllen, Schlagen, Quälen, Erniedrigen. (Aber wer ist schon dafür gemacht?) Doch sie blieb ihm nicht erspart. Immerhin konnte er sich zurückziehen auf das, was seine Persönlichkeit ausmachte: Eleganz, Lakonie, Ironie, Spielsinn, Erhabenheit, Poesie und innere Freiheit. Die Gedanken sind frei, vor allem, wenn sie lyrische Flügel anlegen.
Den Namen »Buchenwald« hatte Stéphane Hessel schon in Paris gehört. Flüchtlinge aus Deutschland hatten denNamen des Schreckensortes geraunt. Wäre es nicht besser, rechtzeitig zu fliehen, schon vor der Ankunft aus dem Zug zu klettern? Das Kriegsende musste sehr nahe sein. Wer die Folter überstanden hat, übersteht auch anderes. Also lässt Stéphane das Unbekannte auf sich zukommen. Wen man in ein Lager steckt, den will man nicht einfach exekutieren lassen, denkt er. Aber da hat er sich verrechnet.
Sehr langsam bewegt sich der Zug voran, zuletzt ächzt er einen Berg hinauf. Nicht weit vom Lagertor endet der Schienenstrang. Die Neuankömmlinge werden aus dem Zug getrieben, müssen sich aufstellen und einen kurzen Appell über sich ergehen lassen. In einer kleinen Kolonne marschieren sie auf das Lagertor zu. Es ist schon dunkel, die Baracken und die Ziegelbauten erkennt man nicht. Es ist der 16. August 1944, gegen 23 Uhr.
Die 37 Offiziere werden zum Desinfektionsraum gebracht. Dort müssen sie die Nacht verbringen. Am
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