Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Nach Buchenwald war er Mitte Januar 1944 gekommen, bald darauf hatte man ihn nach Dora geschickt, wo er vielleicht nicht überlebt hätte, wenn ihn nicht Ding-Schuler im April 1944 in sein mörderisches »Institut« nach Buchenwald zurückgeholt hätte. Bei einem Besuch in Paris hatte der Arzt von dem verhafteten Forscher Balachowskygehört. In Buchenwald konnte er ihn gebrauchen – und der Lagerwiderstand auch. Als jemand, der sich frei bewegen konnte, war er ein nützlicher Überbringer von Kassibern, allerdings misstraute er dem Kapo Dietzsch. Balachowsky fertigte heimlich Notizen über die Vorgänge im Lager an, versteckte die einzelnen Blätter, die nach dem Krieg als fragmentarisches Tagebuch veröffentlicht wurden.
Der Tod ist alltäglich. Aus dem Schornstein des Krematoriums sieht man den ganzen Tag Rauch aufsteigen. Die zerlumpten Gestalten der Muselmänner, wie hier die todkranken Häftlinge heißen, schleichen im Buchenwald-Tempo an den Baracken vorbei.
Die von Stéphane vorausgesagte nahe Befreiung nimmt eine makabre Form an. Am Samstag, dem 8. September, werden 16 Kameraden aus seiner Gruppe »zum Tor gerufen«. Sie kommen nicht mehr zurück. Erst Tage später erfahren Stéphane und die Übrigen, dass man sie am 11. September im Krematorium erhängt und verbrannt hat. Vor der Hinrichtung riefen sie: »Vive la France! Vive l’Angleterre!« Nun ist klar, warum man sie keinem Arbeitskommando zugeteilt hatte. Nun ist auch klar, dass ihnen allen dasselbe Schicksal droht. Im Block 17 herrscht nun eine »wütende Atmosphäre«, wie Balachowsky notiert.
Unter den ersten Exekutierten befand sich Desmond Hubble, ein Freund von Yeo-Thomas. Der Schock motiviert ihn, nach Wegen der Rettung zu suchen. Nun beginnt das große Pläneschmieden. Aber der organisierte Schrecken der Deutschen hält sich an Verfahren: Alle Todesurteile für die Gefangenen müssen in Berlin bestätigt werden. Der Dienstweg verschafft ihnen etwas Zeit.
Forest Yeo-Thomas (in Buchenwald unter seinem Decknamen Dodkin registriert, Nummer 14 624, geb. 1901 in London, Buchprüfer) ergreift die Initiative. Stéphane kennt den blonden, blauäugigen Engländer aus London. Dieserbleibt auch in dieser Lage ruhig und überlegt wie immer. Er bittet Balachowsky, Kontakt zum Lagerwiderstand herzustellen.
Die Idee ist: Wenigstens drei Leute retten, indem man ihre Identität austauscht und sie für tot erklärt. Der geeignete Ort dafür ist der gefürchtete Block 46, der Typhusblock, der Block der geheimnisvollen medizinischen Versuche, den kaum jemand lebend verlässt. Die SS zeigt sich nur selten im Lager, hat die Verwaltung den Häftlingen überlassen, was dem Widerstand einigen Spielraum eröffnet. Aber die jeweiligen Gruppen bleiben unter sich, helfen nur den »eigenen Leuten«. Anders ist es nicht möglich, das Risiko des Verrats ist zu groß. In die Typhusbaracke von Block 46 wagt sich die SS nicht hinein. Hier haben Ding-Schuler und der Kapo Dietzsch das Sagen.
Balachowsky sucht den Kontakt zu Eugen Kogon aus der Schreibstube (Block 50), der in Verbindung mit dem Widerstand steht. Kogon redet mit Ding-Schuler, macht ihm klar, wie nah das Kriegsende ist. Der Arzt erklärt sich bereit, drei Männer zu retten. Man muss aber den Kapo Dietzsch einweihen, was Kogons Freund und Mithäftling Heinz Baumeister aus Dortmund übernimmt. In diesem Punkt weichen die späteren Berichte voneinander ab. Man scheint Dietzsch nicht gesagt zu haben, dass die drei Kandidaten zu einer ganzen Gruppe gehört haben. Yeo-Thomas trifft die Auswahl der zu Rettenden: Stéphane Hessel, Harry Peuleve (Jahrgang 1916, Ingenieur aus Worthington, Deckname Pool) und er selbst (weil die Kameraden ihn darum bitten).
Am 5. Oktober wird eine weitere Gruppe von den SOE-Agenten hingerichtet. Zwei Kameraden wurden sogar aus einem Außenlager bei Jena dafür zurückgeholt. Eile ist geboten. Das Todesurteil aus Berlin für die Übrigen kann jeden Tag eintreffen. Aber die Verhandlungen ziehen sich über mehrere Tage hin, ehe die drei in die Typhusbarackeeingewiesen werden. Eine harmlose Spritze hilft, die Krankheit glaubhafter zu simulieren. In der Baracke sind sie total isoliert, liegen zu dritt auf einem Zimmer im ersten Stock. Im Erdgeschoss liegen 15 Franzosen, Zwangsarbeiter aus Köln, die wegen Fleckfiebers arbeitsunfähig sind und hierher überführt wurden. Sie haben keine Überlebenschance, aber ihr Sterben zieht sich hin.
Die drei Offiziere werden unruhig, lenken sich ab
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