Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
dem Weltreisenden, seine Wahlheimat Frankreich besser kennenzulernen. Er hatte sich bewusst für dieses Land entschieden, war bereit gewesen, für Frankreich zu sterben, zugleich musste er es noch richtig erobern. Das Haus im Gard, Erkundungen in Savoyen oder im Zentralmassiv, später eine Wohnung an der normannischen Küste in Trouville halfen ihm dabei. Allerdings musste er einsehen, dass das wirkliche Frankreich nicht immer das erhoffte Land war, dass die Realität und das mythengestützte Selbstbild des Landes nicht immer übereinstimmten. Aber so ergeht es ja auch manchem Frankreich-Liebhaber aus der Fremde. Sosehr er die französische Sprache und Poesie liebte, so sehr war er doch gegen ein frankozentriertes Weltbild und gegen die »Frankophonie« als postkoloniale Kultur- und Einflusspolitik.
Auch aus Nöten kann man Tugenden machen. Vielleicht glaubte man, ihn auf einen unbedeutenden Posten abgeschoben zu haben, doch seit er sich 1976 beruflich mit der Lage der Immigranten in Frankreich befasste – schließlich waren er und die Seinen selber einmal eingewandert –, erkannte er, dass es sich nicht um bloße Nachsorge für die Kolonialzeit handelte, sondern um ein sehr akutes Problem mit hohem Konfliktpotential, das stetig zunehmen würde. In der jakobinisch-zentralistischen Tradition war es immer um Assimilation gegangen, alle Bürger sollten Franzosen gleicher Denkungsweise werden und ihre Herkunft oder regionale Traditionen vergessen. Sichtbare Zusammenschlüssevon Gruppen gleicher Herkunft, »communautarisme« genannt, waren und sind in dieser republikanischen Tradition verpönt.
Stéphane Hessel befürwortete von Anfang an die Integration in die Republik, ohne dass die Zuwanderer ihre Herkunft vergessen oder verleugnen müssten, er war und ist für die Teilnahme am öffentlichen Leben, ohne dass man den Migranten abverlangt, alte Verbindungen zu kappen. In der neuen politischen Funktion ist er ebenfalls viel gereist, denn er legte Wert auf Kontakt mit den Herkunftsländern, auch das war ein neuer politischer Ansatz.
Über sein Amt hinaus engagierte sich Stéphane Hessel im Office national pour la promotion culturelle des immigrés, schließlich wurde er Mitglied im Haut Conseil pour l’intégration, wie ein von Michel Rocard begründetes Forum hieß. Aber all diese Versuche liefen ins Leere, fanden keinen Rückhalt in der Politik oder in der Öffentlichkeit. Zwanzig Jahre später sollte die Einwanderungsfrage wieder akut werden und zu Hessels erstem öffentlichen innenpolitischen Engagement führen, in Gegnerschaft zur amtlichen Politik.
Als im Jahr 1981 der Sozialist François Mitterrand Präsident wurde, änderten sich die politischen Voraussetzungen auch für Stéphane Hessel. Er hatte den neuen Präsidenten schon 1954 kennengelernt, als dieser Innenminister im Kabinett von Pierre Mendès-France war. Für den kultivierten und literarisch gebildeten Politiker hegte er durchaus Bewunderung, konnte aber nie ein gewisses Misstrauen überwinden. Uneingeschränkt bewunderte er hingegen dessen Frau Danielle, die eine stolze Résistance-Biographie aufweisen konnte und die sich weltweit für die Menschenrechte engagierte, während Mitterrands Rolle in den schwarzen Jahren recht zweideutig war. Dem Politiker konnte Hessel nicht immer zustimmen, vor allem enttäuschte ihn, dass der sozialistischePräsident in der Afrikapolitik des Landes keinen neuen Kurs einschlug.
Gleich nach dem Wahlsieg Mitterrands hatte man Stéphane Hessel glauben lassen, er würde vom Außenminister Claude Cheysson zum Generalsekretär am Quai d’Orsay berufen. Noch als er überlegte, ob er der Funktion gewachsen wäre, wurde klar, dass man gar nicht an ihn gedacht hatte. Zum Trost erhielt er den Ehrentitel »Ambassadeur de France«, kein Amt, sondern eine Würde, die man sein Leben lang behält. Dies war trotz allem die eigentliche Anerkennung durch sein zweites Vaterland. In späteren Jahren kamen andere Ehrungen hinzu, er wurde Commandeur de la Légion d’Honneur und Grand Officier de l’Ordre National du Mérite.
Der Präsident hatte eine völlig neue Verwendung für Hessel. Vielleicht in Erinnerung daran, dass dieser unter Mendès-France eine Art Medienberater gewesen war, entsandte er ihn in die neugegründete Haute Autorité de la commission audiovisuelle, die über die Freiheit der Medien, vor allem Rundfunk und Fernsehen, wachen sollte. Mitterrand hat die öffentlich-rechtlichen Medien, die zuvor einer sehr
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