Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
engen Überwachung und Lenkung unterstanden hatten, auch noch unter dem liberalen Präsidenten Giscard, endlich von jeder Zensur und Bevormundung befreit, zudem wurden freie Rundfunkanstalten erlaubt, was eine gewaltige Privatisierungswelle zur Folge hatte, von der nach einigen Jahren aber nur wenige Sender übrigblieben.
In der Haute Autorité war Stéphane so beschäftigt, dass er nicht gewahr wurde, wie schwer seine Frau erkrankt war. Vitia litt an unheilbarem Krebs, sie starb drei Monate nach der Diagnose im Frühjahr 1985. Erst drei Wochen vor ihrem Tod erfuhr Stéphane, dass sie nicht zu retten war.
Bald nach der Wahl von Jacques Chirac zum Präsidenten im Jahr 1995 wurde Stéphane Hessel wieder aus der Haute Autorité abberufen. Die Gaullisten, die einst für das FreieFrankreich gestanden hatten, nahmen es in der Innen- und Medienpolitik mit der Freiheit (der Andersdenkenden) nicht so genau. Diese Enttäuschung stand am Ende der öffentlichen Laufbahn von Stéphane Hessel, der doch eigentlich ein historischer Gaullist war – 1941 war es um Frankreich gegangen, nicht um eine Partei. Und doch sollte er bald auf die politische Bühne zurückkehren, in ganz anderer Weise, als Rebell, als Bürger, der sich über einen politischen Missstand – das Schicksal von Immigranten – empörte und sich engagierte.
Deutschland kam in der diplomatischen Laufbahn von Stéphane Hessel zwar nicht vor. Doch es gab Begegnungen mit deutschen Diplomaten, etwa mit Nicolaus Sombart, der 1954 zum Vertreter beim Straßburger Europarat ernannt worden war. In diese Zeit fiel auch der Tod von Emmy Toepffers, des Kindermädchens seiner frühen Jahre, ein trauriger Anlass, der Stéphane Hessel nach Hamburg führte. 1966 wurde Hessel zum Bergedorfer Gesprächskreis eingeladen, einem politischen Forum, das der Mäzen Kurt A. Körber im Schloss des südöstlichen Hamburger Vororts Bergedorf 1961 gegründet hatte. In jenem Jahr sprachen Politiker und Publizisten über Europapolitik und vor allem über die Erziehung zum Europäer. Bei dieser Tagung begegnete Stéphane Hessel Eugen Kogon, seinem Retter aus Buchenwald, mit dem sich seine Wege bisher nicht gekreuzt hatten.
Eine andere, private Verbindung zu Deutschland ergab sich über seine zweite Frau Christiane, die er 1986 geheiratet hatte. Sie war eigentlich in sehr deutschfeindlichen Verhältnissen aufgewachsen. Ihre Mutter mochte dieses Nachbarland nicht und gab Spielzeug zurück, wenn sie merkte, dass es in Deutschland hergestellt worden war.
Als Christianes Sohn aus einer ersten Verbindung ein Jahr alt war und sehr krank war, riet man ihr zu einem Aufenthaltim Allgäu. Das war im Jahr 1963. Dort lernte sie freundliche Deutsche kennen, Tim und Roseli Bontjes van Beek, die jeden Sommer im Allgäu verbrachten, wo sie sich kennengelernt hatten; ansonsten wohnten sie in dem wunderschönen Ort Fischerhude östlich von Bremen. Der Sohn und die Tochter der beiden wurden für Christianes Sohn so etwas wie Geschwister.
In den Jahren nach 1986 wurde Stéphane in diese andauernde Freundschaft einbezogen. Dabei spielte nicht allein der unvergleichliche Charme des Ortes eine Rolle, der fast gleichrangig neben Worpswede für eine große Kunsttradition stand (durch Otto Modersohn, Clara Rilke und andere), sondern auch die Familiengeschichte der Bontjes van Beek, in der von vielen Künstlern die Rede war, aber auch vom Widerstand gegen das NS-Regime. Cato Bontjes van Beek, 1920 geboren, war 1943 in Berlin-Plötzensee als Mitglied der sogenannten Roten Kapelle hingerichtet worden, mit nur 23 Jahren. Als in Bremen ein Platz nach ihr benannt wurde, war Stéphane Hessel selbstverständlich dabei. Ihm war immer bewusst, dass es auch ein »anderes Deutschland« gegeben hatte, schließlich hatte er in Buchenwald und Dora viele deutsche Leidensgefährten erlebt.
Catos Großvater war der Hofmaler Heinrich Breling gewesen, ihre Mutter Olga hatte sich in den 1920er Jahren einen Namen als Ausdruckstänzerin gemacht und arbeitete später als Malerin. Sie hatte den aus Holland stammenden Keramiker Jan Bontjes van Beek geheiratet. Catos Schwester Mietje wurde eine erfolgreiche Malerin. Ihr Bruder Tim hatte nach einer Kriegsverletzung die hoffnungsvoll begonnene Pianistenlaufbahn aufgeben müssen, war Musikredakteur beim Norddeutschen Rundfunk geworden.
In dieser Atmosphäre aus gelebter Kunst, Menschlichkeit, Tapferkeit fühlten sich Stéphane und Christiane Hessel von vornherein wohl, nahmen am Leben der
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