Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
nie, aber das ist in Frankreich seit je so, wie man in Balzacs Roman
Eine dunkle Affäre
nachlesen kann. Die Affären dienen immer nur dem politischen Spiel, dem Verschieben des Schwarzen Peters, der Herabwürdigung und zeitweiligen Ausschaltung von Rivalen. So ist auch bis heute nicht geklärt, wer eigentlich 1943 Jean Moulin verraten hatte. Charles de Gaulle äußerte sich diesbezüglich recht vieldeutig: Verraten werden kann man nur von den eigenen Leuten.
Der Freund Daniel Cordier beeinflusste Stéphane Hessel und seine Frau im Hinblick auf die Kunst. Mit Wilhelm Uhde hatte ein erfahrener Kunstsammler zu Stéphanes Bekanntenkreis gehört, der ihm die Kunst der sogenannten naiven Maler nahegebracht hatte, aber auch das Werk von Uhdes Freund und Gefährten, dem jung verstorbenen Berliner Maler und Graphiker Helmut Kolle.
Von Cordier lernte Stéphane, was einen wirklich großen Maler ausmacht, auf welche feinen Unterschiede es zu achten gilt. Stéphane hatte Zeit und Lust, seine Kenntnisse zu vertiefen. Nach drei Jahren war er aus der Haute Autorité de la communication audiovisuelle ausgeschieden, Präsident Chirac hatte an seiner Stelle einen inkompetenten, aber politisch genehmen Nachfolger ernannt. Cordier hatte den Hessels eine Einführung in die Malerei von Piero della Francesca gegeben. Eigentlich hieß der Maler, Mathematiker und Kunsttheoretiker Pietro di Benedetto dei Franceschi; er wurde um 1420 in Borgo San Sepolcro geboren, heute Sansepolcro genannt, ein Städtchen bei Arezzo, an der Grenze von Toskana und Umbrien. 1492 ist er ebendort gestorben.
Auf die Spuren dieses Malers begaben sich Stéphane und seine Frau Vitia. Es sollte ihre letzte große gemeinsame Unternehmung werden. In einer kleinen Kapelle fanden sie eine Freskomalerei, die sie stumm vor Staunen machte:Eine schwangere Madonna, kurz vor der Niederkunft, ein äußerst seltenes Motiv in der Malerei. Die elegante, melancholische Frau, deren gewölbte blaue Robe sich weiß zu öffnen beginnt, während zwei ernste Engel, in Grün und in Braun, einen Baldachin heben, ein schweres Zelt, als stünde ein großes Ereignis bevor. Die
Madonna del Parto
, die Liebe Frau der Geburt, dieses Bild sprach zu ihnen, dieser Künstler war
ihr
Maler!
Im Jahr 1963 unternahm Stéphane Hessel in Begleitung seiner Frau eine Weltreise im Auftrag der UNESCO. Es war eine Tour à la Phileas Fogg, wenn auch nicht in 80 Tagen. Er besuchte Länder in Afrika und in Asien, wie Thailand und Japan, mehrere Länder in Süd- und Mittelamerika, aber auch die USA. Als die Hessels sich im November 1963 in New York aufhielten, wurde in Dallas Präsident John F. Kennedy ermordet. Nach dieser Reise schrieb Stéphane zwei Berichte, einen für die UNESCO und einen für das Außenamt in Paris, den Quai d’Orsay. Er wollte bewirken, dass man dort stärker daran dachte, Frankreich aus der Weltperspektive zu sehen und nicht das eigene Land immer als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten. Seine Perspektive war stets eine umfassende, aufs Ganze gerichtete.
Nicht nur auf dieser Reise führte Stéphane Hessels Route über Afrika, immer wieder besuchte er diesen Kontinent. Er traf sich mit Albert Schweitzer in Lambarene, kam aber auch mit bedeutenden afrikanischen Politikern wie Sékou Touré zusammen. Über die französische Afrikapolitik war er nicht uneingeschränkt glücklich. Er lernte Länder kennen wie das arme Burkina Faso (einst Obervolta), mit dessen Präsident Blaise Compaoré er über Jahre hinweg engen Kontakt hielt, um den 1983 durch einen Putsch an die Macht gekommenen Staatschef auf den Pfad demokratischer Tugend zu führen. Länder wie Mali, Niger, Senegal, Benin und Tschad gehörten ebenfalls zu seinem Einflussbereich. Mitdem Tschad ist auch die größte Tragödie seiner Amtszeit verbunden, der Entführungsfall Claustre, »L’Affaire Claustre«, wie man in Paris sagt.
Am 21. April 1974, mitten im französischen Präsidentschaftswahlkampf, ereignete sich in der Sahara eine brutale Geiselnahme an Deutschen und Franzosen. Der deutsche Ethnologe Christoph Staewen, dessen Frau bei dem Überfall ums Leben gekommen war, wurde nach drei Wochen freigelassen, nachdem die deutsche Regierung ein Lösegeld von 2,2 Millionen Deutsche Mark gezahlt hatte. In Geiselhaft blieben eine Wissenschaftlerin und ihr Assistent; ihr Mann hatte entkommen können. Dem Assistenten, Marc Combe, gelang nach einiger Zeit die Flucht. Zurück blieb allein Françoise Claustre.
Françoise
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