Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Familie Anteil. Christiane hatte Stéphane diesen Ort geschenkt und dieFreunde; Stéphane wiederum schenkte den Ort dem Verfasser dieses Buches und eröffnete ihm damit einen großen Erzählstoff.
Allerdings kam es einmal zu einem kleinen Zwischenfall. Ein großer Hund lief auf Stéphane zu und wollte nur spielen, wie man so sagt. Aber Stéphane trug eine Wunde im Gemüt und an den Beinen. Im Nu war der ganze Schrecken da, die Nacht im Stehbunker mit dem Schäferhund, der ihn hätte zerfleischen können. Wie er jene Nacht überstanden hat, hat er nie genau erzählt, das war zu schwer. Sicherlich hat er dem Hund mit seiner sanften Stimme zugeredet und die Bestie halbwegs befriedet … Aber für manche Menschen sind auch friedliche Hunde eine Qual.
Zu den prägenden Bekanntschaften Stéphane Hessels gehörte auch Yvette Pierpaoli, Jahrgang 1938, eine Heldin der Menschenrechtsarbeit. Als Jugendliche war sie von ihrer Familie verstoßen worden, und auch in der Schule rebellierte sie. Die französische Kolonialpolitik in Indochina empörte sie. Mit 19 verließ sie Frankreich. Nachdem sie die Härten der Kindheit am eigenen Leib erlebt hatte, engagierte sie sich für die leidenden Kinder in den Weltkonflikten. Für die Flüchtlingshilfsorganisation ging sie mit 29 als junge Mutter nach Kambodscha, wo sie als Geschäftsfrau reüssierte. Sie blieb auch dort, nachdem ein Bürgerkrieg ausbrach. Zu dieser Zeit engagierte sie sich erstmals für Kinder in Not. Sie lernte zu hoffen – »Der Mensch hat das letzte Wort«, lautete ihr Credo. Später half sie von Bangkok aus, elternlose Flüchtlingskinder zu betreuen, unternahm manche waghalsige Aktion im Grenzgebiet. Auch in Guatemala, Bolivien und in Afrika leistete sie ähnliche Arbeit.
Nach 1986 lebte sie vor allem in Paris, doch zog es sie oft in ihr Haus bei Uzès. Dort schrieb sie das Buch
Eine Frau für tausend Kinder
, das 1992 erschien. In dieser Zeit lernte sie Stéphane Hessel kennen, der ja ebenfalls ein Haus bei Uzès besaß. Man sah sich sehr oft und sprach über die Lagein den Problemgebieten der Welt. Unermüdlich engagierte sich Yvette Pierpaoli in Konfliktzonen, meist im Rahmen der von ihr mitgegründeten Hilfsorganisation Tomorrow, deren Hymne (
We are the world, we are the children
) weltweit bekannt wurde.
In den 1990er Jahren ging sie in den Kosovo. Der Jugoslawienkrieg war für Menschenhändler eine gute Gelegenheit, Kinder zu verschleppen, als Arbeitssklaven und in Bordelle weltweit. Aber sich mit dieser Mafia anzulegen war gefährlich. Am 18. April 1999 ist das Auto, in dem sie in Albanien von Tirana nach Kukës unterwegs war, verunglückt. Yvette Pierpaoli und drei weitere Insassen starben. Man kann vermuten, dass es kein reiner Unfall war, sondern ein Racheakt.
John le Carré, der ebenso wie Stéphane Hessel diese bewundernswerte Frau gut gekannt hatte, setzte dem Buch
Der ewige Gärtner
die Widmung voran: »For Yvette Pierpaoli, who lived and died, giving a damn.« In dem Roman geht es um die Macht und die Machenschaften der Pharmakonzerne in der Dritten Welt. Die weibliche Hauptfigur Tessa ist durchaus nach dem Vorbild von Yvette Pierpaoli gestaltet. Schade nur, dass deren wahre Geschichte niemandem einen Bestseller wert war.
Teil 2: PERSÖNLICHES
Wenn man über Stéphane Hessel schreibt, hat man leicht das Gefühl, ein Märchen zu erzählen. Sein Leben klingt wie ausgedacht, seine Persönlichkeit wirkt wie ein Wunschbild. Ein Roman, ein Drehbuch mit diesem Inhalt würde nicht überall auf Glauben stoßen. Aber jemanden wie ihn konnte man wirklich nicht erfinden. Um es glaubhaft zu machen, wähle ich in diesem Kapitel die persönliche Form. Stéphane Hessel existiert, ich bin ihm begegnet, immer wieder, über die Jahre hinweg. Ich will Zeugnis ablegen für den Zeugen. Auch um seine Geschichte gegenwärtig zu machen. Die Literatur ist dabei nicht vergessen.
Begegnungen
Ich war im Zimmer von Samuel Beckett, aber ich wusste es nicht. Die diskrete Institution in einer Seitenstraße des 14. Arrondissements nannte sich »L’Âge d’or«, doch das »goldene Zeitalter« meinte schlicht das Alter. In diesem Heim besuchte ich Ulrich Hessel, Jahr um Jahr, und ließ mir aus seiner Familiengeschichte erzählen. Er wusste noch so viele Anekdoten und Daten, beschrieb Personen und Umstände, auch wenn ihm das Sprechen etwas Mühe bereitete.
Als ich ihn im März 1985 kennenlernte, wohnte er noch in einer Familienpension im sechsten Arrondissement, in einem
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