Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Treinen, wie sie mit Mädchennamen hieß, stammte aus Luxemburg. Seit 1964 arbeitete die Archäologin auf dem Gebiet der Republik Tschad. Die frühere französische Kolonie war 1960 unabhängig geworden und wurde als Einparteienstaat von Präsident Tombalbaye geführt. 1969 lernte die Archäologin den französischen Diplomaten Pierre Claustre kennen, der dem Land bei einer Verwaltungsreform helfen sollte. Einige Zeit später heirateten die beiden.
Das Land war unsicher geworden, seit 1966 der Aufstand der muslimischen Nationalen Befreiungsfront einen Bürgerkrieg entfacht hatte, in den sich auch Libyen einmischte. Frankreich hatte 1969 zugunsten des amtierenden Präsidenten eingegriffen. Anführer der Aufständischen war Hissène Habré. Er war auch für die Geiselnahme verantwortlich, wenngleich die politische Situation durch die Rivalität verschiedener Stämme schwer überschaubar war. Das sollte die Verhandlungen mit den Geiselnehmern erschweren.
Habré verlangte für die Freilassung der Geisel 20 Millionen Francs, die Veröffentlichung eines politischen Manifestessowie die Entlassung von politischen Gefangenen durch den Präsidenten François Tombalbaye. Der neu berufene und nicht sehr gut informierte französische Botschafter fand es vordringlich, abzuwarten, und machte durch Störmanöver alles noch schwieriger.
Die französische Regierung ernannte einen Militär und Geheimdienstmann als Vermittler, den Kommandanten Galopin, eine fatale Entscheidung. Die Rebellen begegneten ihm mit Misstrauen, hielten ihn schließlich selber fest und exekutierten ihn auf äußerst grausame Weise. Nun wurden die Verhandlungen noch komplizierter, ein Ende der Geiselnahme war nicht abzusehen.
In dieser Lage wurde Pierre Claustre nervös und griff auf eigene Faust in die Verhandlungen ein; zudem schickten französische Medien Reporter, die zugleich gute Freunde des neugewählten Staatspräsidenten Giscard d’Estaing waren. Auch das erschwerte die Arbeit des neuen offiziellen Vermittlers Stéphane Hessel, der überzeugt war, dass er bei den Verhandlungen mit seinen suggestiven Methoden mehr erreichen konnte.
Den Reportern gelang es, bis zu den Entführern vorzudringen und die Gefangene zu filmen und zu interviewen. Als sie wieder abreisten, ohne sie mitzunehmen, wie sie gehofft hatte, verlor Françoise Claustre die Nerven. Ihren Ausbruch von Wut und Verzweiflung sah man später im französischen Fernsehen (denn sie glaubte, man täte nichts für ihre Befreiung). Auch das schadete der offiziellen Mission.
Stéphane Hessel reiste daraufhin mit seinem Freund Pierre Abelin, einst als Katholik im Widerstand und inzwischen Minister für Entwicklungshilfe, nach N’Djamena, um Präsident Tombalbaye zu Konzessionen zu bewegen – vergeblich. Danach beschloss Hessel, selber als Vermittler zu fungieren. Er las einige Bücher über die Stämme in der Sahara, vor allem über den Stamm der Toubou, dem HissèneHabré angehörte – angeblich, denn in Wahrheit gehörte er zum weniger angesehenen Stamm der Goran und tat alles, um sein Ansehen zu erhöhen. Auch solche feinen Unterschiede können von Bedeutung sein bei den Verhandlungen. Wie viele radikale Führer der Dritten Welt hatte Habré in Paris studiert (man fragt sich, welche Einflüsse von dort sie auf ihre späteren Verbrechen »vorbereitet« haben). Sein Universitätslehrer im Fach Jura war Georges Vedel gewesen, zufällig ein Bekannter von Stéphane Hessel. Vedel sprach im Radio lobend über Hessel – in der Hoffnung, dass die Botschaft auch die Rebellen in der Wüste erreichte.
Nach Afrika kam Hessel mit einem neuen Angebot: Frankreich würde vier Millionen Francs, Lebensmittel und technische Ausrüstung liefern. Die Forderung nach Waffen wurde als unannehmbar abgelehnt. Der neue Unterhändler begab sich in die Wüste, reiste mit einem Flugzeug und einem Landrover den Rebellen entgegen. Mit Kalaschnikows bewaffnete Kämpfer empfingen ihn, man verhandelte auf einem Teppich unter einem Akazienbaum. Um die Begegnung zu entspannen, rezitierte Hessel Baudelaire, denn den vergaß er nie. Und auch in der Wüste, in der Konfrontation mit bewaffneten Menschenräubern, entfaltete die Poesie ihre magische Kraft, wie einst im Konzentrationslager.
Man hatte ihn durchaus misstrauisch empfangen, er sah nicht so aus, wie man sich dort einen Diplomaten vorstellte. Beim nächsten Treffen, denn es wurde mehrfach verhandelt, trug er einen echten Diplomatenkoffer, das machte mehr Eindruck. Es gab
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