Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
dagegen, Produkte und Kulturgüter zu boykottieren, die aus Israel kommen, wohl aber befürworte er diese Maßnahme bei Produkten aus den von Israel besetzten Gebieten.
Als seine Vorbilder nannte er Sartre für die Philosophie, Mendès-France für die Politik, de Gaulle für den Mut, Rocard für die politische Weitsicht. Über allen stehe für ihn jedoch Edgar Morin und dessen aktuelles Buch
La voie
. (Diese Werbung für Morins »Weg« erwies sich als effektiv.) Direkt Politik machen wolle er nicht, er habe sich zwar von Europe-Écologie auf einen Listenplatz setzen lassen, aber so weit hinten, dass er nicht gewählt werde. Er verstehe Leute, die sich über seinen Erfolg empören. Dieser sei wirklich übertrieben, aber er versuche, bescheiden zu bleiben. »Ich sehe mich weder als Weisen noch als Ikone, sondern nur als einen alten Herrn mit einer sehr langen Erfahrung.«
Bei der Berufung auf die Résistance gehe es nicht darum, die damalige Situation mit heute zu vergleichen, sondern nur um die Anknüpfung an deren Werte. Frankreich müsse eine soziale Demokratie werden in einem wirklich sozialen Europa. Präsident hätte er nie werden wollen, er liebe diePoesie und die Philosophie mehr als die Politik. Er sei in religiöser Hinsicht ungläubig, empfinde nichts für die monotheistischen Religionen, respektiere aber jene Gläubigen, deren Glaube sie dazu bringt, sich um das Elend in der Welt zu kümmern.
Deutliche Kritik an Stéphane Hessel übte Sidney Chouraqui, ebenfalls Mitglied der Résistance, sogar drei Jahre älter als Hessel, einst Anwalt von Beruf und führendes Mitglied verschiedener jüdischer und christlich-jüdischer Assoziationen. Er erkenne Stéphane Hessel nicht wieder, schrieb er in
Le Monde
(10. 2. 2011). Zwar begrüße er die Anknüpfung an die Werte der Résistance. Hessels Broschüre aber schreite nicht gegen den Wind, wie es im Emblem des Verlages verkündet werde, sondern schwimme mit im Strom einer bestimmten Tendenz der letzten Jahre. Er bestreite auch, dass Hessel für alle Résistance-Angehörigen sprechen könne. Man müsse die Menschenrechte überall auf der Welt verteidigen, und so verstehe er nicht, warum Hessels Hauptsorge Palästina gelte. Sehr wohl gebe es Unrecht auf palästinensischer wie auf israelischer Seite. Warum erwähne er nicht Russland, China, Iran, Libyen? Diese Einseitigkeit mache ihn unglaubwürdig. Und eben darum erkenne er den Verfasser nicht wieder.
Er kritisiert Auslassungen, tendenziöse Faktendarstellung, schlichte Schwarzweißmalerei. So erwähne Hessel nicht, dass im Goldstone-Bericht, auf den er sich bezieht, auch die Hamas der Kriegsverbrechen beschuldigt werde. Und überhaupt: Wie vertrage sich seine Befürwortung der Gewaltlosigkeit mit dem Verständnis für den Terror der Hamas? Wie könne er so tun, als sei diese nicht verantwortlich für die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet? Es gehe nicht darum, die israelische Regierung zu verteidigen. Aber Israelis und Palästinenser müssten mit derselben Elle gemessen werden. Der Konflikt sei ethisch und historischkomplex und habe tiefe historische Wurzeln, eben deshalb müsse man sich um Ausgewogenheit bemühen, was Hessel nicht tue.
Störe es Hessel nicht, sich Seite an Seite mit Demonstranten wiederzufinden, die »Tod für Israel!« riefen, manchmal sogar »Tod den Juden!«? Störe es ihn nicht, die Führer der Hamas zu begrüßen, die die Shoah leugneten? Er selbst habe begriffen, als seine Kompanie 1945 Dachau befreite, dass die Juden ein Recht auf einen eigenen Staat hätten, obwohl er doch ein zutiefst französischer Jude und kein Anhänger des Zionismus sei.
Noch schärfer im Ton war ein Artikel des Journalisten Luc Rosenzweig, der einst Korrespondent in Berlin war. Stéphane Hessel sei ein »unwürdiger Greis«, aber anders als in der Erzählung von Bertolt Brecht und im Film von René Allio (
Die unwürdige Greisin
) sei er es wirklich. (Im Französischen ist hier ein Wortspiel möglich mit »s’indigner« und »indigne«, »empörend« und »unwürdig«.) Ein glorreicher Lebenslauf könne nicht alles entschuldigen. Im Übrigen inszeniere er sich bei allen Auftritten als selbstzufriedener alter Mann, der es auf narzisstische Weise genieße, als nationale Ikone angesehen zu werden. Was er von sich gebe, sei völlig inhaltsleer. Er teile die Welt auf schlichte Weise in Gut und Böse ein, betrachte sich ganz allein als Achse des Guten, und er habe alles getan, damit seine Biographie als
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