Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
Heiligenlegende erscheine. Und so kauften die Leute seine Broschüre wie bei einem Ablasshandel wegen deren magischer Wirkung. Ein hohes Alter allein sei kein persönliches Verdienst, sondern Glückssache. Auch sein eigener Vater, schrieb Rosenzweig, sei wie Hessel aus Berlin emigriert und habe sich später in der Résistance engagiert. Sich aber heute auf das Programm des CNR zu berufen sei entweder eine historische Idiotie oder Unredlichkeit.
Hessel führe seinen ganz eigenen Kreuzzug. Seine antiisraelische Obsession erinnere an die alte Definition im Lexikonvon Pierre Larousse im 19. Jahrhundert: »Der Antisemit ist eine Person, welche die Juden stärker hasst, als es angebracht ist.« Es sei Hessels Recht, Israel nicht zu mögen, aber müsse man sich deshalb den Hamas-Führern anbiedern? In einer öffentlichen Debatte habe Hessel die Bedrohung der Stadt Sderot durch Raketen verharmlost. Rosenzweig vergleicht Hessel mit Roland Dumas, der auch Verdienste in der Résistance hatte und später eine Schurke wurde, aber der sei ihm noch lieber als Hessel mit seinem laizistischen Frömmlertum.
Das war starker Tobak. Aber in manchen Fernsehsendungen fielen noch bösere Worte. Hessel erfinde den »Holocaust low-cost« hieß es da. Die Journalistin Elisabeth Lévy sagte in der Kultursendung von Franz-Olivier Giesbert (France 2, 7. 1. 2011), sie sei außer sich über den Erfolg des Pamphlets. Müsse man denn alles hinnehmen, nur weil jemand in der Résistance war? Hessel habe gesagt, er habe ein wunderbares Leben gehabt, auch weil er mit 20 Jahren ein großes Thema der Empörung gefunden hatte, nämlich den Nationalsozialismus. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte »ein Scheißleben« gehabt und sich niemals über etwas empören müssen.
Ein ebenso scharfer Angriff erfolgte durch den Romancier, Journalisten und Polemiker Eric Zemmour im Januar 2011 auf verschiedenen Medien, vor allem in seiner Radiochronik auf RTL am 2. 1. 11. Opi Hessel befürworte eine falsche Résistance, hieß es da. Bei ihm gebe es nur böse Israelis und liebe Palästinenser. Er betreibe eine Art stalinistischer Propaganda, fordere die Abschaffung aller Nationen und Grenzen, überdies sei er ein halber Deutscher, ein halber Protestant, ein halber Jude und nichts Ganzes, ein linker Bourgeois mit rechten Ideen. Er leugne die Realität, wollte sie unter reinen Emotionen ersticken.
Das war eher Krawall als Kritik. Zemmour, klein von Statur, als Polemiker durchaus begabt, ein Bewunderer vonNapoleon, ist aber auch schon durch krasse Vorurteile gegen Araber oder Feministinnen aufgefallen.
Der Politologe Pierre André Taguieff, Forscher am CNRS und Spezialist für die Geschichte des Antisemitismus und der Verschwörungstheorien, fand es nötig zu sagen, dass Hessel kein »bedeutender« Widerständler gewesen sei, da seine Aktion im besetzten Frankreich von kurzer Dauer gewesen sei, nämlich von März bis Juli 1944, und er auch zuvor in London nur eine untergeordnete Rolle gespielt habe. Er wolle Hessels Rolle in der Résistance nicht leugnen, doch habe dieser nur eine »ehrenwerte zweitrangige Rolle« gespielt.
Abgesehen von der Frage, wer befugt ist, nachträglich Verdienstmedaillen zu verteilen, hat sich Stéphane Hessel nie mit Jean Moulin oder Pierre Brossolette verwechselt; von ihnen wie von anderen Helden spricht er mit großer Bewunderung. Bewundern und anerkennen zu können ist eine seiner Stärken, stets verweist er auf andere, wenn man ihn lobt, stets bezieht er sich auf andere Politiker, Denker, Kämpfer. Diese Art von Angriffen zeigt eher die Verlegenheit seiner Kritiker, die nicht genau wissen, wie sie ihn zu »fassen« bekommen.
Auf Facebook verstieg sich Taguieff dazu, einen Satz von Voltaire abzuwandeln: »Wenn eine Giftschlange mit gutem Gewissen daherkommt, in der Art eines gewissen Hessel, dann ist es ganz verständlich, dass einen die Lust packt, ihr den Kopf zu zertreten.« Den bösen Satz zog er später zurück und ersetzte ihn durch: »Er hätte sein Leben auf würdigere Weise beschließen können, ohne zum Hass gegen Israel aufzurufen und sich damit den schlimmsten Judenfeinden anzuschließen.« Gegen solchen Appell zum Lynchen regte sich heftiger Protest, man sprach von einem Versuch der Einschüchterung, man wolle Hessel diskreditieren und somit zum Schweigen zu bringen.
Öffentliche Aufregung um Hessel gab es, als eine Veranstaltung mit ihm an der ENS, der École Normale Supérieure, deren Schüler er vor
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