Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
1940 gewesen war, abgesagt wurde. Nach dem Verbot, das Monique Canto-Sperber, die Direktorin der Eliteschule, verkündet hatte, fand am ursprünglich vorgesehenen Termin, Dienstag, 18. Januar 2011, eine Demonstration im Freien statt, aber nicht irgendwo, sondern vor dem Pantheon. Einige Hundert Personen waren gekommen, mehr als zu der geplanten Diskussion in der (nahe gelegenen) ENS Platz gefunden hätten. Eingeladen hatten linke politische Organisationen und propalästinensische Gruppierungen. Man protestierte gegen das Verbot, in der ENS eine Debatte über das Palästina-Problem abzuhalten. Es wurde über die Verhältnisse in Gaza gesprochen und über das Boykottersuchen gegen Produkte aus Israel, gefordert von der Vereinigung BDS (Boycott Désinvestissements Sanctions).
Stéphane Hessel trat als einer von vielen Rednern auf. Unter einer Banderole mit dem Spruch »Solidarität mit Palästina: Gegen Zensur und Repression, für die Verteidigung der Freiheit« trug er bei seiner Rede eine phrygische Mütze, das Symbol der Jakobiner, wie sie von den Veranstaltern verteilt wurde. Einst sei er Schüler der ENS gewesen, heute wolle man ihn dort nicht hereinlassen, spottete Hessel. Neben palästinensischen Vertretern sprach auch eine Studentin aus Israel, welche die Rolle des Zentralrats der Juden in Frankreich (CRIF) im Zusammenhang mit dem Verbot kritisierte.
Am selben Tag erläuterte Monique Canto-Sperber in einem Artikel in
Le Monde
, warum sie die geplante Veranstaltung verbieten und die schon zugesagte Raumvergabe zurücknehmen musste. Man habe sie über die Natur der Veranstaltung getäuscht. Es habe sich nicht um ein Zusammentreffen von Stéphane Hessel mit Absolventen der ENS gehandelt, wie man ihr gesagt habe; in Ankündigungen imInternet sei verbreitet worden, dass es um ein Meeting des Kollektivs »Paix Justice Palestine« gehen werde, wo man zum Boykott der Kontakte mit israelischen Forschern und Institutionen aufrufen werde. Dergleichen habe sie nicht zulassen können, es wäre dabei nicht friedlich geblieben. Solange sie Direktorin sei, werde am Kontakt mit Israel festgehalten. Im Übrigen habe der CRIF nichts mit ihrer Entscheidung zu tun, es habe in der Sache keinen Kontakt gegeben. Stéphane Hessel als Person sei in ihrer Institution weiterhin und jederzeit willkommen.
Die Episode fiel in den Zeitraum des stärksten Militantismus von Stéphane Hessel, vielleicht auch in den der größten Vereinnahmung seiner Person. Tatsächlich arbeitet er mit beim »Russell-Tribunal über das Palästina-Problem«, in einer zwar privaten, aber doch nicht unpolitischen oder neutralen Vereinigung. Kurz nach seinem 94. Geburtstag unternahm er die lange Reise von Paris nach Kapstadt, um an der dritten Tagung des selbsternannten Tribunals teilzunehmen.
Mit seiner Parteinahme für die Palästinenser hat Hessel eine Schärfe und eine gewisse Portion Hass in die Debatte gebracht, die bedauerlich ist. Und eigentlich musste er wissen, dass es solche Reaktionen geben würde. Derartige Polemiken passen nicht zu seiner Person. Aber er nimmt nichts zurück, hat seinen Standpunkt im Gegenteil ein ums andere Mal bekräftigt. Und er verweist darauf, dass er die Geschichte des Staats Israel von Anfang an mitverfolgt habe, dass er anfangs große Hoffnungen in ihn gesetzt habe, seine Kinder längere Zeit in Kibbuzim verbracht hätten. Seine Kritik beziehe sich auf die israelische Politik seit dem Sechstagekrieg, auf die Haltung der Regierungen der letzten Jahre, die sich nicht mehr um internationales Recht und die Resolutionen der UNO scherten.
Die linksliberale und niveauvolle Fernsehzeitschrift
Télérama
brachte im März 2011 eine lange Homestory über Hessel, in der er seine politischen Positionen wiederholte. 1947 habe Israel die UNO davon überzeugt, dass es nur 55 % des Territoriums wolle und den Arabern 45 % zugestehen werde. Heute kontrolliere Israel 78 % des Territoriums.
Seine Auffassung, so Hessel, habe sich allmählich gewandelt. Einst sei der Staat Israel für die Überlebenden des Holocaust gegründet worden, bald aber seien die Juden selber Kolonialisten geworden und hätten arabisches Land okkupiert und die Menschenrechte überhaupt nicht mehr geachtet. Israel habe immer gewollt, dass es nicht »zu viel Palästina« gebe, man wolle die Palästinenser in kleine Bantustans zurückdrängen, womit die Homelands gemeint sind, wie sie in Südafrika zur Zeit der Apartheid entstanden. Das sei aber keine Lösung, die einen
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