Stephane Hessel - ein gluecklicher Rebell
dauerhaften Frieden garantiere. Da Israel keine Einstaatenlösung wolle, was das Beste wäre, müsse es eine faire Zweistaatenregelung geben.
Die erste ausführliche Analyse seines Pamphlets
Empört Euch!
erschien in Form eines kleinen Buches im April 2011. Auch hier wurde großes Geschütz aufgefahren, wurden wissenschaftliche Begriffe und Methoden bemüht, doch auch hier war die Kritik nicht ganz affektfrei. Doch die wesentlichen Argumente sind ernst zu nehmen.
Détrompez-vous!
(»Lasst euch nicht länger blenden!«) heißt die Gegenbroschüre von immerhin 90 Seiten. Der Verfasser Jean Szlamowicz ist Linguist und will Hessels Text mit linguistischen Methoden zu Leibe rücken, will laut Untertitel dessen sonderbare Empörungen entschlüsseln. Und auch diese wissenschaftliche Analyse (der Verfasser nennt sie »ethische Linguistik«), die dem Text formal zu viel Ehre antut, endet mit einem politischen Befund, nämlich mit Hessels inakzeptabler Stellungnahme zu Israel. Allerdings geht Szlamowicz insofern weiter als andere Kritiker,als er unterstellt, dass Hessels Unternehmung Teil einer großangelegten Kampagne sei, die darauf abziele, Israel mit negativen Vorstellungen und Begriffen zu verbinden. Er glaubt sogar, die Kräfte hinter dieser Kampagne zu kennen.
Hessels politische Analyse sei von kindlicher Naivität, heißt es, er folge einer schlichten Gut-Böse-Einteilung der Welt, womit sein Text Züge einer Propagandaschrift erhalte. Eine so unzulängliche Darstellung sei nur möglich, weil die Person Hessel respektabel und unangreifbar erscheine. (Das macht den Kritikern am meisten zu schaffen, und im Allgemeinen vermeiden sie persönliche Attacken.)
Der Autor geht davon aus, dass Hessels Kritik an Israel sich letzten Endes auf alle Juden auswirke und dass mit solcher Kritik auf die Dauer nicht nur das Existenzrecht des Staates Israel, sondern auch das Lebensrecht der Juden insgesamt in Frage gestellt werde. Ein Jude müsse sich eben immer dafür rechtfertigen, dass es ihn gebe, schreibt er im Anschluss an den Philosophen Vladimir Jankélévitch, der solche Befürchtungen schon in den 1960er Jahren geäußert hatte.
Hessels Text sei Teil einer Strategie, die darauf abziele, islamistische Konzeptionen in die öffentliche Meinung Frankreichs einzuschleusen. Diese werde gesteuert von der dezentralisierten, aber weltweit aktiven Boykottbewegung BDS, deren Ziel die Entlegitimation Israels sei. (In der Tat gibt es seit 2005 ein lockeres Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, die solche Maßnahmen gegen Israel fordern, solange das Land gegen die universellen Menschenrechte verstoße und die UNO-Resolution 194 von 1948 nicht respektiere. In Frankreich ist das Bündnis seit 2009 aktiv.)
Inwieweit Stéphane Hessel tatsächlich in solche Strukturen verflochten ist, wird aber nicht erörtert. Jean Szlamowicz zufolge erzeugt Hessels Vorgehen den fatalen Eindruck: Ein respektabler Mann wie er verurteilt Israel.In linguistischer Hinsicht entspreche Hessels Kritik der Absicht des BDS, den Namen Israel mit negativen Konnotationen zu versehen. Es sei eine ideologische und propagandistische Aktion. In seiner Argumentation stünden emotionale Momente über den rationalen. In diesem Kontext werde versucht, Begriffe wie »Okkupation«, »Nazis«, »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« umzukehren und gegen Israel zu wenden, was man die »Nazifizierung« Israels genannt hat. Die Shoah selbst werde als Waffe
gegen
Israel gewendet.
Im weiteren Verlauf wird auf die Entwicklung des Nahostkonflikts seit der Gründung des Staates Israel eingegangen und bestritten, dass die Palästinenser 1948 vertrieben wurden: Sie seien zum größten Teil von selbst geflüchtet. Hingegen seien in viel größerem Maßstab Juden aus den arabischen Ländern vertrieben worden, wo sie seit Jahrhunderten lebten, aber davon rede niemand. Stéphane Hessels Berufung auf die Menschenrechte sei nur eine Schutzbehauptung, ansonsten würde er seinen Protest auf andere Länder ausweiten. Bei ihm handle es sich um einen Antizionismus, der, wie schon Vladimir Jankélévitch 1969 sagte, den Bürgern erlaube, Antisemit zu sein und doch als Demokrat zu gelten.
Um solchen Vorwürfen zu entgehen, verweise Hessel gern auf seine jüdischen Wurzeln, ja er lasse sich zuweilen als Juden vorstellen, aber nur, weil es das beste Mittel sei, den Antisemitismus-Vorwurf zu entkräften. Das Jüdische an ihm sowie seine Résistance-Vergangenheit böten die Erlaubnis, alles
Weitere Kostenlose Bücher