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Sterbelaeuten

Sterbelaeuten

Titel: Sterbelaeuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Endemann
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Menschen eben, vor allem wenn sie nicht so oft mit dem Tod Berührung hatten. Dann machte ihnen ein Todesfall Angst, als könnte er ansteckend sein. Röhrig hatte den Untermieter noch mal gründlich auf Herz und Nieren geprüft. Außer dass dieser ein nervöses Wrack war und den Eindruck vermittelte, dass Frau Fromme irgendwie ihre Pflichten als Vermieterin missachtet hatte, indem sie einfach so in ihrer eigenen Wohnung gestorben war, hatte Röhrig nichts Verdächtiges an ihm feststellen können.
    Alle unerledigten Fälle, die sich auf Röhrigs Schreibtisch stapelten, schrien danach, die Akte Fromme zu schließen. Es musste ja nicht immer ein Verbrechen passiert sein. Manchmal starben die Leute halt, vor allem wenn sie so alt waren wie Frau Fromme.
    –
    Vom Flugzeug aus hatte die Stadt mit den zwei Flüssen schön ausgesehen, aber Maté musste blinzeln und ein paar Tränen wegwischen. Die Polizisten hatten ihn begleitetet und warteten mit ihm, während er seine Reisetasche von der Gepäckausgabe holte. Am Zoll wünschten sie ihm „viel Glück“, was ihm nicht so höhnisch vorkam, wie man meinen könnte. Wahrscheinlich meinten sie es sogar ehrlich. Dann verschwanden sie, zurück nach Deutschland, und ließen ihn allein. Er stand mit seiner Tasche in der Ankunftshalle des Belgrader Flughafens und hatte Angst, wie er noch nie in seinem Leben Angst gehabt hatte. Er war allein in einer Stadt, in der er keinen Menschen kannte. In einem Land, dessen Sprache er nicht sprach und das laut Geburtsurkunde seine Heimat war, in die man ihn abgeschoben hatte. Die Tasche in seiner Hand fing an zu zittern, weil seine Hand zitterte. Er sog Luft durch einen Spalt seiner zusammengepressten Lippen ein und befahl seiner Hand, ruhig zu werden. Dann sah er sich um und ging schließlich auf ein Plakat zu, das wie ein Busfahrplan aussah. Er starrte auf Schriftzeichen, die russisch aussahen. Sicher gab es auch einen Plan auf Englisch. Die Schilder, die er auf seinem Weg vom Flugzeug gesehen hatte, waren in lesbarer Schrift gewesen und sogar ins Englische übersetzt. Er musste nur ein bisschen suchen. Aber Maté spürte, wie sein Hals eng wurde und er Panik bekam. Er drehte sich zurück zur Halle, als könnte er den Polizisten noch zurufen: „Wartet! Ich kann die Schrift hier nicht lesen. Ich spreche die Sprache nicht. Ich muss zurück nach Deutschland!“
    Die Polizisten waren natürlich längst weg. Er drehte sich weiter und sah nach draußen. Er machte einige Schritte auf den Ausgang zu und lief einem Fluggast hinterher, der mit seinem Koffer durch die Glastüren ging. Draußen schien eine gleißende Sonne, und Maté taumelte wieder einen Schritt zurück, blieb mitten im Ausgang stehen. Ein Mann stieß ihn an, der mit einer Frau zusammen aus der Halle nach draußen ging. Maté machte einige Schritte nach vorne, kehrte um und ging wieder in die Halle, wo er ratlos stehen blieb.
    „Zigarette?“ Er fuhr herum. Ein mittelgroßer dunkelblonder Mann in braunem Mantel hielt ihm ein Päckchen Zigaretten hin. Irgendeine Ostmarke, die er noch nie gesehen hatte.
    „Danke.“ Maté war tatsächlich so dankbar, einfach nur, weil der Mann Deutsch sprach, dass er ihm am liebsten die Hand geküsst hätte.
    „Wir müssen rausgehen“, sagte der Mann und deutete nach draußen. „Hier drinnen darf man neuerdings nicht mehr rauchen.“ Er verdrehte die Augen und legte ganz leicht und nur für einen Moment die Hand auf Matés Schulter. Sie gingen die paar Schritte nach draußen. Dort zündete der Mann Matés Zigarette an und dann seine. „Zum ersten Mal in Belgrad?“
    Maté nickte und blies Rauch aus.
    „Geschäftlich oder privat?“ Der Mann grinste, als sei das ein Witz, so als spielte er einen Einwanderungsbeamten.
    „Privat, glaube ich. Ich bin abgeschoben worden.“
    „Oha.“ Der Mann ließ langsam Rauch aus seinem Mund entweichen. „Aus Deutschland?“
    „Ja.“
    „Und jetzt? Wo gehst du jetzt hin? Hast du Verwandte?“ Maté schüttelte den Kopf. „Ich hab niemanden. Ich weiß nicht, wohin ich gehen kann.“
    Der Mann nickte, als hätte er diese Antwort erwartet. „Ich bin Joska“, sagte er und streckte Maté die Hand hin. „Fahren wir ein bisschen.“

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