Sterbelaeuten
gefunden“, sagte Miriam.
„Oh“, sagte Markus.
Er wandte sich wieder dem Sonnenrad zu. Na ja, dachte er. Das war nicht das Schlimmste, was passieren konnte. Die Zündschnur fing Feuer und beide traten ein paar Schritte zurück. Überall stiegen jetzt bunte Raketen hoch und erleuchteten den Himmel. Um den Kirchplatz herum standen Gruppen von Anwohnern und Schaulustigen, die sich gegenseitig Prost Neujahr zuriefen.
Thomas gesellte sich zu Stephanie. Sie prosteten sich zu.
„Wirst du Torat vermissen?“
Stephanie sah ihm in die Augen. „Nein“, sagte sie bestimmt. „Weißt du, an diesem Abend von der Weihnachtsfeier, da war ich so durcheinander und fühlte mich unendlich allein. Johannes war da und kümmerte sich um mich, brachte mich zum Lachen. Na ja, und rund zwei Promille taugen auch nicht gerade als Tugendwächter.“
„Hast du, ich meine habt ihr, also hast du mit ihm ...?“ Thomas sah selbst etwas entsetzt über seine intime Frage aus.
Stephanie seufzte und sah angestrengt auf ihren Fuß.
„Johannes sagt, nein. Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich denke, er sagt die Wahrheit. Schließlich wollte er mich ja eigentlich nur davon abhalten, Sibylles Abwesenheit zu bemerken. Und bei dem Stress, den er gehabt haben muss, in dieser Nacht ...“
Sie sahen einer Rakete auf ihrer Flugbahn nach. Als die Rakete ihre letzte bunte Sonne in den Himmel gespuckt hatte, wandte Stephanie sich Thomas zu.
„Zufrieden?“, fragte sie.
„Absolut“. Thomas wippte auf seinen Füßen vor und zurück. Er sah wirklich sehr zufrieden aus.
–
„Mechthild Rinke, Hauptstraße 12“, murmelte Enver. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm, der das Telefonverzeichnis von Langen, Hessen, zeigte. „Klingt altmodisch, oder?“
Maté nickte.
„Okay, los geht’s: 0 6103 ...“
Die Liste hatten sie beiseitegelegt, nachdem Enver aufgefallen war, dass alle Nummern zum selben Kaff in der Nähe von Frankfurt gehörten. Das war zu gefährlich, hatte er Maté erklärt. Maté war es egal. Er wählte die Nummern, die Enver ihm vorgab, spielte seine Rolle am Telefon. Aber seine Gedanken waren bei Dana und ihrem gemeinsamen Traum.
„Maté, wir gehen zu Fuß nach Deutschland. Über grüne Grenze. Durch den Wald.“ Seine Ohren kitzelten von ihrem Atem. Sie konnten nur beim Tanzen offen reden. Das Tanzen war ihre Tarnung geworden. Mittlerweile trat er ihr bei jedem Tanz nur noch ein, zwei Mal auf die Füße.
„Zu Fuß! Das ist viel zu weit!“
„Ein paar Wochen. Vielleicht können wir ein Stück trampen.“
„Wo sollen wir denn schlafen?“
„Im Wald.“ Sie lachte leise.
„Da erfrieren wir.“
„Dummkopf! Wir gehen im Frühling. Wenn es warm genug ist.“
„Aber ich habe keinen Schlafsack, kein Geld für Essen, ich habe gar nichts.“
„Deswegen müssen wir ja zu Fuß gehen.“
Es war Danas voller Ernst. „Maté, meine Eltern und davor meine Großeltern sind auch zu Fuß solche Strecken gelaufen. Meinst du, sie hatten Schlafsäcke und Wanderschuhe?“
„Aber das waren Zigeuner!“
„Au!“ Sie hatte ihm auf den Fuß getreten. Beide sahen sich schuldbewusst um. Joskas blaue Augen streiften das Paar und blieben einige Sekunden an ihm hängen.
„Weißt du einen anderen Weg?“, flüsterte Dana, als Joska sich wieder seinem Banknachbarn zuwandte. Dana hatte auch keinen Pass, nur für ihre Deutschlandaufenthalte gaben sie ihr Papiere, die sie ihr in Belgrad wieder abnahmen. „Es geht, Maté. Hunderte haben das vor uns gemacht. Wir schaffen das.“
„Rinke?“
Maté erkannte die Stimme eines alten Menschen auf Anhieb. Das Headset half dabei, und er hatte ja Übung. „Ja, rate mal, wer hier ist.“
– Ende –
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