Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Gesicht.
»Signor Mantega!« Tom sprang auf und schüttelte dem notaio die Hand.
»Wie ist es Ihnen bisher ergangen?«, fragte Mantega zerstreut.
»Angesichts der Umstände ganz gut. Und wie geht’s Ihnen?«
Mantega wirkte erschrocken, dann machte er eine weit ausholende Geste und seufzte tief. »Ach, Sie wissen schon! Arbeit, immer nur Arbeit.«
»Setzen Sie sich doch zu mir«, drängte Tom.
Er fühlte sich einsam und nach zwei Drinks etwas redselig, doch Mantega war abweisend.
»Ich bin eigentlich ein bisschen in Eile …«
» Solo un momento . Ich muss Sie etwas fragen.« Mantega zögerte immer noch, setzte sich aber schließlich zu Tom an den Tisch. Er scheuchte den Kellner mit einer Handbewegung weg und sah Tom durchdringend an.
»Also?«, sagte er spitz.
»Es geht bloß um einen Ausdruck, den ich heute gehört habe und den ich nicht verstanden habe. Deshalb dachte ich, es wäre vielleicht Dialekt. La tomba d’Alarico . Sagt Ihnen das was?«
Mantega zuckte herablassend die Achseln. Ihm war Toms Frage offenbar völlig schnuppe, trotzdem konnte er der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig zu dozieren.
»Aber natürlich! Alarich war ein Barbarenhäuptling, der im fünften Jahrhundert in Italien eingefallen ist. Er hat Rom geplündert und ist anschließend weiter nach Süden gezogen, hier in Cosenza ist er dann gestorben und angeblich mit den ganzen Schätzen, die er geraubt hat, begraben worden. Es hat viele Versuche gegeben, das Grab zu finden, doch alle waren vergeblich. Als die Deutschen während des Kriegs hier das Sagen hatten, haben sie eine besonders intensive Suche organisiert. Die Goten waren ein wichtiges Element in der Nazimythologie. Doch trotz all ihrer Ressourcen war das Ergebnis wieder negativ.«
Tom schüttelte verwundert den Kopf. »Ich hab noch nie etwas von Alarich gehört. Also ist der Schatz immer noch irgendwo hier vergraben?«
Mantega zuckte ungeduldig mit den Schultern. Nachdem er sein Wissen von sich gegeben hatte, interessierte ihn dieses angestaubte Thema nicht mehr.
»Wer weiß? Ab und zu kommt irgendein Spinner hierher und versucht es von neuem, doch offenbar bisher ohne Erfolg.« Er gähnte und fügte dann aus reiner Höflichkeit hinzu: »Weshalb interessieren Sie sich für das Grab des Alarich?«
Tom lächelte ihn verschwörerisch an. »Wissen Sie, dieser Hubschrauber, der die ganze Zeit hier rumfliegt? Offenbar hat der irgendwelche elektronischen Geräte an Bord, mit denen man das Erdreich scannen kann. Hier unten im Flussbett hat die Firma kein Glück gehabt, deshalb versuchen sie es jetzt in den Tälern weiter oben. Zumindest sollte es hier jetzt etwas ruhiger werden.«
Mantega nickte der Form halber. »Nun ja, ich muss jetzt weiter. Haben Sie schon irgendwas von der Polizei gehört, wegen der Verhandlungen zur Freilassung Ihres Vaters?«
Erst in dem Moment wurde Tom klar, dass Mantega es noch nicht wusste. Doch er würde es irgendwann erfahren, und dann würde er es merkwürdig finden, dass Tom ihm nichts gesagt hatte.
»Er ist tot.«
Mantega, der schon halb aufgestanden war, setzte sich abrupt wieder hin. »Was? Wie? Wann?«
»Vor zwei Tagen. Die haben es unter Verschluss gehalten, bis sie die Leiche eindeutig identifiziert hatten. Ich habe es selbst gerade erst erfahren und es wohl noch gar nicht richtig erfasst. Vermutlich stehe ich immer noch unter Schock, wissen Sie?«
Dieser Aspekt schien Mantega nicht zu interessieren. »Ist das Ihr Telefon?«, fragte er und zeigte auf das glänzende silberne telefonino , das auf dem Tisch lag.
»Hab ich gestern gekauft.«
»Darf ich es mir einen Moment ausleihen?«, fragte Mantega. »Ich muss einen dringenden Anruf machen, und bei meinem Handy ist der Akku leer. Sie wissen ja, wie das ist. Ich hab vergessen, es aufzuladen.«
»Bedienen Sie sich«, sagte Tom.
Mantega bedankte sich mit einem Lächeln. Als ob es ihm auf der Straße zu laut wäre, stand er auf und stellte sich in den offenen Eingang des Cafés. Tom beobachtete ihn, ohne sich etwas dabei zu denken, und dazwischen tauschte er Blicke mit einer umwerfenden Brünetten, die kurz nach Mantega gekommen war, am Nachbartisch Platz genommen hatte und jetzt eine Zigarette rauchte und in ihr Headset sprach. Tom kritzelte »Mittagessen?« und seine neue Telefonnummer auf ein Stück Papier, dann winkte er dem Kellner und bat ihn, den Zettel der Frau zu bringen. Während dieser Transaktion blickte er kurz zu Nicola Mantega hinüber, der sich offenbar heftig mit
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