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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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Meisterwerk zu drehen. »Bisher wissen wir gar nichts«, hatte Marcello gesagt, doch nun wusste er es mit absoluter und unbestreitbarer Gewissheit. Es würde keinen Film geben. Er, der große Aldobrandini, war gekauft worden wie ein Strichjunge, um benutzt und dann weggeworfen zu werden. Egal was jetzt noch passierte, sein Genie und sein Ruf, ja seine gesamte Karriere waren für immer besudelt worden.
    Er stakste an Deck und ging zur Steuerkabine.
    »Ich hab’s mir anders überlegt, Matteo«, erklärte er dem Skipper. »Nimm Kurs auf Sardinien.«

25
    Tom Newman war wütend. Obwohl er normalerweise ein sanfter Mensch war, ließ er sich manchmal dennoch zu spektakulären Wutausbrüchen hinreißen, wenn er das Gefühl hatte, dass andere seine Gutmütigkeit ausnutzten. Das hier war so ein Fall. Diese Leute hatten seine Geduld überstrapaziert. Na schön, nun sollten sie ihn richtig kennen lernen.
    »Ma cazzo, oh, dov’è’sto beverragio?« , brüllte er den Kellner an.
    Der Mann blieb wie angewurzelt stehen, dann schnippte er mit dem rechten Zeigefinger, eine Geste, die besagte: »Verdammt, ich wusste doch, dass ich was vergessen hatte.«
    »Subito, signore ! «
    Zwanzig Sekunden später brachte der Kellner ein Getränk, das aussah wie ein unschuldiger Campari Soda, in Wirklichkeit aber einen Schuss Wodka enthielt - was die Italiener un drink nennen, ein fremder Name für eine fremde Idee. Tom nickte gnädig, lehnte sich mit einem gebieterischen Lächeln zurück und entspannte sich wieder, genoss die Sonne und ließ das Geschehen um ihn herum auf sich wirken. Die Sonne stand hoch an einem Himmel, der makellos blau war bis auf ein paar bauschige weiße Wolken im Westen, die vom Mittelmeer über die Küstengebirgskette zogen. Später am Nachmittag würden sie immer unförmiger werden, sich drohend über der Stadt zusammenbrauen und dann ein Wahnsinnsunwetter entfesseln, doch bis jetzt waren sie bloß dekorativ oder vielleicht sogar symbolisch, wie die Wolken auf dem Deckenfresko eines alten Meisters mit strammen Jungs und übergewichtigen Mädels, ein Sinnbild für Freigebigkeit und Überfluss.
    Seit er die Questura verlassen hatte, nachdem Aurelio Zen ihm die schlechte Nachricht mitgeteilt hatte, hatte er sich ziellos durch die Straßen treiben lassen, in seiner Benommenheit alles sehr viel bewusster wahrgenommen und sich auf alles eingelassen, was sich ihm darbot. Er hatte bei einem Straßenhändler grüne Pfirsiche und frische Walnüsse gekauft und sie zusammen mit einem runden Stück älteren Ziegenkäses gegessen, den er bei einem anderen Straßenhändler gekauft hatte, der selber ein bisschen wie eine Ziege aussah - dürr, neurotisch und mit zwanghaften Bewegungen, wie der degenerierte Abkömmling einer bedeutenden spanischen Adelsfamilie.
    Dann waren da die billigen Kleiderläden um den Busbahnhof gewesen, die von chinesischen Einwanderern geführt wurden, die hübschen Boutiquen in den besseren Straßen, die teure Dinge als Hochzeitsgeschenke und für das schöne Heim verkauften, sowie merkwürdige Läden mit englischen Namen wie Daddy & Son und Miss Sixty - Letzterer hatte als Klientel keine altersschwachen alten Jungfern, sondern hinreißende junge Frauen aus dem Viertel, die Retro-Carnaby-Street-Klamotten haben wollten, um ihre fantastischen Beine zur Schau zu stellen. Tom hatte einer Bootleg-CD mit kalabrischer Volksmusik zugehört, die aus einem anderen Verkaufsstand plärrte, und mit Hilfe des Händlers einige Worte heraushören können: O sol, o sol, almo immortale, non t’asconder mai più che certo veggio s’io non ti miro, non poss’aver peggio. Es war eine Lobeshymne an die Sonne und handelte davon, wie beschissen wir dran sind, wenn sie vor uns verborgen ist. Pures Heidentum, aber er kam sich selbst schon fast wie ein Heide vor. Das lag hier in der Luft, in dem erbarmungslosen Licht, im Gesichtsausdruck und in der Körpersprache der Leute. Sein Vater war tot, hatte der Polizeichef ihm gesagt. Als ob es das erste Mal in der Geschichte der Welt wäre, dass jemand seinen Vater verlor. Die Griechen und Römer, die hier vor tausenden von Jahren geherrscht hatten, hätten dies schon verstanden.
    Er hatte die CD gekauft und befühlte sie jetzt in seiner Jackentasche, während er im Kopf wieder die Melodie hörte und einer vorbeigehenden Frau hinterherschaute, deren BH-Versteller sich unter dem engen Top auf ihrem Rücken abzeichneten wie ein zweites Paar Brustwarzen. Plötzlich sah er ein ihm bekanntes

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