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Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman

Titel: Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dibdin
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jemandem stritt. Der Kellner reichte der Frau die Notiz. Sie redeten kurz miteinander, und er zeigte auf Tom. Die Brünette schaute herüber, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke erneut. Dann kam Mantega wieder zum Tisch. Er gab Tom das Telefon zurück, setzte sich aber nicht hin.
    »Tut mir leid, aber ich muss mich beeilen«, sagte er so atemlos, als wäre er gerannt. »Ich melde mich in Kürze. Erlauben Sie mir bis dahin, Ihnen mein tiefstes Mitgefühl in dieser schockierenden Situation auszusprechen. Mein armer Junge! Sie müssen am Boden zerstört sein.«
    Tom nickte vage. »Ja, das muss ich wohl.«
    »A presto, allora . « Mantega trabte rasch davon.
    »Ich hab heute Mittag schon was vor«, sagte eine Stimme.
    Tom blickte auf und sah die Brünette vor sich stehen.
    »Oh, was für ein niedliches Telefon!«, rief sie aus. Sie schaltete es an, drückte auf einige der winzigen Knöpfe und checkte das Display.
    »Du bist selbst ganz schön niedlich.«
    Die Frau nahm das ganz cool. »Bist du Amerikaner?«, entgegnete sie.
    Tom lächelte verschämt. »Ich fürchte ja.«
    »Ach, in Kalabrien gehören Amerikaner zur Familie«, erwiderte sie mit leicht kokettem Unterton. »So viele von unseren Leuten sind dorthin ausgewandert.«
    »Ja, ich weiß. Kann sogar sein, dass ich selbst aus dieser Gegend hier stamme, oder zumindest mein Vater scheint …«
    Er verstummte verwirrt, doch die Brünette wurde nun von einem Gespräch auf ihrem Headset abgelenkt.
    »Ich muss los«, sagte sie zu Tom.
    Tom gestikulierte hilflos. »Okay, wie wär’s denn mit Abendessen?«
    Doch sie war bereits außer Hörweite und eilte in die Richtung, in die auch Nicola Mantega verschwunden war.

26
    Für jemanden, dessen religiöse Überzeugungen, theologisch betrachtet, auf kaum mehr als einen heidnischen Agnostizismus hinausliefen, war Maria eine gute Katholikin. Allerdings hätte ihre Sicht der Dreieinigkeit, die sie sich als eine Art geschäftsführenden Vorstand vorstellte, wie er im Kern in jeder intakten Familie existierte - Vater, Mutter und der älteste Sohn -, vor der Inquisition keine Gnade gefunden, wenn die Kirche immer noch ein lebhaftes Interesse an den Anschauungen ihrer schwindenden Herde gehabt hätte, statt immer verzweifelter darum zu kämpfen, das Verhältnis von Hintern und Kirchenbänken auf dem derzeitigen Stand zu halten.
    Maria akzeptierte die Existenz Gottes in genau der gleichen Weise, wie sie die Existenz der Regierung akzeptierte, weil man halt jemand Mächtigen brauchte, den man dafür hassen konnte, dass er all das sinnlose Leid auf der Welt nicht verhinderte oder zumindest linderte. Für Jesus empfand sie Mitleid, weil er die Schuld für die Fehleinschätzungen seines Vaters hatte auf sich nehmen müssen, doch es war schwer, viel Respekt vor einem Mann zu haben, der anscheinend sein kurzes Leben damit zugebracht hatte, den Leuten zu predigen, wenn sie netter zueinander wären, würde auch die Welt ein angenehmerer Ort sein. Und den Heiligen Geist mit seiner sinnlosen Abstraktheit hatte sie für sich längst durch die warmherzige, nachsichtige und überaus menschliche Person der Mutter Gottes ersetzt.
    In Marias Vorstellung besaß die Heilige Jungfrau auf der göttlichen Ebene ungefähr den gleichen beschränkten und indirekten, aber häufig entscheidenden Einfluss, den jede Mutter, die den Namen verdiente, auf Erden hatte. Manchmal konnte sie helfen, manchmal nicht, aber zumindest konnte man sich darauf verlassen, dass sie wohlwollend zuhörte und ihr Bestes tat. Ihre Wirkungsmöglichkeiten waren natürlich strikt örtlich beschränkt. In der Kapelle in der alten Kirche auf dem Hügel, die ihr geweiht war, heilte sie Brandwunden und linderte die Schmerzen bei einer Geburt, doch wenn einem die Füße oder der Rücken wehtaten, müsste man die ihr geweihten Stätten in Aprigliano oder Cerenzia aufsuchen. Das war eben so, genau wie man wusste, wo die verschiedenen Sorten Pilze wuchsen oder wo man den besten wilden Spargel fand.
    Maria teilte diese unorthodoxen religiösen Ansichten mit fast allen älteren Frauen im Dorf, doch wie diese besuchte sie trotzdem jeden Tag die Messe. Dies geschah teilweise, weil irgendwer es tun musste, damit die Familie nicht ins Gerede kam, und sonst niemand Zeit oder Lust dazu hatte, aber hauptsächlich, weil sie dadurch aus dem Haus kam und Gelegenheit hatte, den neuesten Dorfklatsch zu erfahren. Am Tag nach der Polizeirazzia in Altomonte mit ihren schrecklichen Folgen hatten fast

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