Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
liegen, lange bevor die erste Schiffsladung Pilger in Amerika ankam.«
Calopezzati lächelte schief. »Wir sind übrigens nur spätes achtzehntes Jahrhundert.«
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Tom verbrachte den größten Teil des Vormittags mit Martin Nguyen vor dem Fernseher. Es war ihm gelungen, den Umzug aus seinem Hotel um vierundzwanzig Stunden aufzuschieben mit der Begründung, dass er bei der Polizei noch diverse juristische Formalitäten im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters zu erledigen hätte, doch an diesem Morgen war Nguyens Limousine vorgefahren, um ihn in dieses protzige Geschäftsviertel etwa zwei Meilen vom Stadtzentrum entfernt zu entführen, das die Italiener als Peripherie bezeichneten. Während er im Auto saß, hatte Nicola Mantega angerufen, um ihm zu sagen, dass der weltberühmte Filmregisseur Luciano Aldobrandini einen Überraschungsauftritt in der beliebten Vormittagsshow Ciao Italia! habe und es Gerüchte gebe, dass das, was er sagen würde, direkte Auswirkungen auf die Geschäftsinteressen von Toms neuem Arbeitgeber haben könnte. Diese Information hatte er pflichtbewusst weitergegeben, und nun saßen beide Männer gebannt vor dem Bildschirm. Toms Aufgabe bestand darin, Aldobrandinis Worte zu übersetzen, so weit wie möglich in Echtzeit, auch wenn Nguyen von dem Ganzen eine DVD als Back-up brannte.
Bisher hatte die Fernsehshow nichts geboten außer einer Reihe von angehenden Berühmtheiten, ausgebrannten Berühmtheiten, unbedeutenden Politikern und einem Fußballer auf Drogenentzug, doch als die Moderatorin endlich den Star ankündigte, dessen Namen sie seit fast einer Stunde immer mal wieder verheißungsvoll hatte fallen lassen, zeigte sich, dass sich das Warten gelohnt hatte. In seinem todschicken cremefarbenen Leinenanzug mit dem weit offenen blauen Seidenhemd, das viel perfekt gebräunte Haut freigab, und mit seinem dichten Silberhaar, das wie von einer Naturgewalt geformt aussah, wirkte Aldobrandini jugendlich und distinguiert zugleich, ausgesprochen männlich und resolut, und strahlte doch eine große innere Würde aus.
Er kam rasch zum Thema und verkündete, dass er extra nach Rom geflogen sei, »wozu ich meine jährliche kreative Ruhephase an der Costa Smeralda unterbrechen musste«, um die bedeutsame Neuigkeit bekannt zu geben, dass er sich aus dem Projekt zurückgezogen habe, die Offenbarung des Johannes für die Leinwand umzusetzen - »ein Werk, von dem ich geglaubt und gehofft hatte, dass es den krönenden Abschluss einer langen Karriere bilden würde, die ich ganz meiner Kunst gewidmet habe« -, da er jedes Vertrauen in das Engagement und die Integrität der amerikanischen Produktionsfirma, die den Film bisher finanziert habe, verloren hätte.
Was nun folgte, war eine Darbietung, die jemandem, der einstmals sehr gekonnt diverse Nebenrollen in den neorealistischen Nachkriegsfilmen gespielt hatte, die mit einem minimalen Budget von Regisseuren wie Visconti und Fellini gedreht worden waren, alle Ehre machte. Einerseits beklagte Aldobrandini das Ende der Wertvorstellungen jener Generation zugunsten der zynischen Manipulationen von Buchhaltern und mittleren Managern, die allein den Zwängen des Marktes gehorchten, »Leuten ohne Intelligenz, ohne Mut, ohne Visionen und ohne Ideale, deren einziges Interesse darin besteht, die Profite zu maximieren«. Traurig lächelnd berichtete er, wie er herausgefunden hätte, dass der eigentliche Geldgeber »des geplanten Meisterwerks meiner späten Periode, eines Abgesangs auf die gesamte Kultur, die mich geformt und genährt hat«, das Projekt zu Zwecken nutzte, die nichts mit dem Film zu tun hätten.
Angestachelt von der Moderatorin, die man offenbar mit einer Liste nützlicher Fragen ausgestattet hatte, gab Aldobrandini nun einige sehr spezifische Details preis, die bei ihm den Verdacht ausgelöst hatten, dass das besagte Meisterwerk niemals gedreht werden würde. Sein Misstrauen sei erstmals geweckt worden, sagte er, als der große britische Schauspieler, den er für die Rolle des heiligen Johannes von Patmos vorgesehen hatte, absagte. Als Grund dafür sei genannt worden, dass seinem Agenten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geldgeber des Projekts gekommen wären. Bis zu diesem Augenblick, erklärte Aldobrandini, hätte er »nicht im Traum an so etwas gedacht. Ich lebe nicht in dieser Welt. Mir geht es einzig und allein um die kreative Herausforderung, e basta ! Was das Großkapital und geschäftliche Mauscheleien betrifft, bin ich absolut unbedarft.«
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