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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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Notarzt kam, wäre es für Wiederbelebungsversuche ohnehin zu spät gewesen.
    Auch für meine Freundin Ava ist ein Mindestmaß an Lebensqualität unverzichtbar, sagt sie, und die sei für sie gleichbedeutend mit Selbständigkeit: »Ich möchte nicht von anderen abhängig sein, möchte nicht, dass mich jemand baden oder zur Toilette bringen muss.« Diese privatesten Dinge nicht mehr selbst erledigen zu können sei für sie unwürdig und erniedrigend. Auf keinen Fall wolle sie ihren Kindern zur Last fallen.

Ars Moriendi oder die Kunst, zu sterben
    Wie möchten Sie sterben?
Marcel Proust, Fragebogen
    Früher war es selbstverständlich, dass ein Mensch eingebettet in sein persönliches Umfeld und die vertrauten Abläufe aus dem Leben ging. Heute haben wir den Tod ausgesperrt. Es wird extern gestorben, auf der Intensivstation, im Krankenhaus oder Pflegeheim, nur noch selten in der Umgebung, in der man gelebt hat. Statt umringt von den Menschen, die sie geliebt, mit denen sie gelebt haben, finden sich Sterbende viel zu oft umgeben von Hightech-Apparaten und der Hektik und Ungeduld eines überlasteten Personals. Die wohlbekannten Schritte und das ferne Gemurmel der Angehörigen, das altvertraute Ticken einer Uhr, das Singen eines Vogels durchs geöffnete Fenster wird hier übertönt vom Pumpen eines Beatmungsgeräts und dem Piepen der Überwachungsmonitore. Moderne Medizintechnik und »Profis« in einer Klinik können aber kein Ersatz sein für die uralten Bräuche und Rituale, die früher Sterbenden und Trauernden Halt gegeben haben.
    Im Mittelalter gab es etwa die Ars Moriendi, christliche Sterbebüchlein mit Texten und bildlichen Darstellungen, die schon Gesunde in der Kunst des Sterbens unterweisen sollten. Der Tod kam damals durch Kriege und Seuchen oft plötzlich und ließ wenig Zeit dafür, die Dinge zu regeln. Deshalb beteten die Christen jahrhundertelang auch: »Und bewahre uns vor einem plötzlichen Tod.« Es galt, sich frühzeitig zu wappnen. Viele taten das, indem sie die Schriften und Anleitungen der Ars Moriendi wieder und wieder studierten. Wer nicht lesen konnte, betrachtete die Bilder vom Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen himmlischen Heerscharen und dem Teufel am Sterbebett. Hier fiel die Entscheidung über ihr Seelenheil, über Himmel und Hölle. Um das Gute zu stärken, war es deshalb wichtig, den Glauben zu festigen, sich vorzubereiten, seine Sünden zu bereuen und sich von weltlichen Besitztümern zu lösen. Der Sterbende war dabei aber nicht allein. Es waren immer Angehörige, Freunde, Nachbarn anwesend, denn Sterben war damals eine öffentliche Angelegenheit, und die Umstehenden hatten ihren Teil zu einem »guten Tod« beizutragen – durch ihren Beistand, durch Gebete und Fürbitten. 14
    Die Zeiten haben sich geändert. Jahrhunderte an Erfahrungen und Traditionen wurden überflüssig durch das Diktat der Machbarkeit, aber auch durch die Veränderungen in unserem Zusammenleben. Es findet nur noch selten in einer größeren Gemeinschaft oder einem starken Familienverbund statt. Das Individuum, das Ego stehen so hoch im Kurs wie nie zuvor. Immer mehr Menschen leben allein (2011 waren es in Deutschland knapp 16 Millionen), häufig in Anonymität, oft kennen sie noch nicht einmal ihre Nachbarn.
    Je stärker die Individualisierung unserer Gesellschaft voranschritt, je leistungsstärker die Medizin wurde, desto weniger spielten spirituelle und psychologische Unterstützung am Sterbebett eine Rolle. Heute kommt der Tod für die meisten Menschen entweder nach langer Krankheit, oft nach Wochen und Monaten, manchmal sogar Jahren medizinischer Dauerbehandlung, häufig quälender Therapien. Viele sterben im fortgeschrittenen Alter, begleitet von körperlichen Einschränkungen oder Demenz.
    Als schöner Tod gilt deshalb heute, anders als in früheren Zeiten, ein plötzlicher Tod, schnell und schmerzlos. Den erhofften sich rund drei Viertel der Menschen, sagt der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio, der bei seinen Vorträgen Zuhörer immer wieder dazu befragt, wie sie sterben möchten. Nur etwa 25 Prozent wünschen sich danach ein durch Therapien und Medikamente hinausgezögertes, langsames Sterben, über mehrere Jahre bei klarem Verstand. Und nur ganz vereinzelt können sich Befragte den langen, vor allem für die Angehörigen quälenden Abschied mit einer Demenzerkrankung vorstellen.
    Die Realität indes sieht anders aus: Weniger als 5 Prozent ist ein schneller Tod beschieden. Die meisten, nämlich 50

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