Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
grundsätzlichen Entscheidungen einbezogen. Das Verhältnis war gut, man stand sich nahe. Nach dem Tod des Vaters aber war alles anders. Nun bombardierte der Bruder meine Freundin plötzlich mit Anschuldigungen: Sie habe auf Kosten des Vaters gelebt, sich bereichert, Dinge hinter seinem Rücken betrieben. Eine Flut von Briefen und E-Mails mit wahren Hasstiraden und Vorwürfen prasselte auf sie herab. Gine war fassungslos. Das Schlimmste sei gewesen, sagte sie mir, dass all diese gehässigen Angriffe und verletzenden Vorwürfe ihr gar keinen Raum für die Trauer und den Abschied von ihrem Vater gelassen hätten. Heute kommunizieren die beiden nur noch über Anwälte. Die Familie, die sie jahrzehntelang gewesen sind, gibt es nicht mehr.
*
Die jahrelang unterdrückte Rivalität zwischen Geschwistern, das Gefühl, immer zu kurz gekommen, vielleicht weniger geliebt worden zu sein, brechen sich Bahn, wenn plötzlich die Instanz, das Gefüge fehlt, das bisher alles zusammengehalten hat. Solche heftigen Gefühle suchen sich ein Ventil, und willkommener Anlass, Zwistigkeiten auszuleben, ist dann häufig der Streit ums Erbe, selbst wenn es gar nichts zu erben gibt. Gegenstände, die zuvor kaum eine Bedeutung hatten, werden nun zum heißumkämpften Objekt der Begierde. Dann wollen auf einmal alle Mutters Bernsteinkette, die früher eher abschätzig belächelt wurde, das Bild, das auf Vaters Schreibtisch stand oder die alte Kaffeekanne mit dem Sprung, die man seit Kindertagen kennt. Wenn es tatsächlich etwas zu erben gibt, Wohneigentum oder Vermögen etwa, dann läuft die Angelegenheit oft so aus dem Ruder, dass Anwälte und Gerichte damit befasst werden müssen. Dabei zerbricht viel, das später nicht mehr repariert werden kann.
Nun ist nicht jeder Familienkonflikt vermeidbar, zumal es da oft viel mehr um Gefühle als um Materielles geht. Dennoch kann man potentiellen Auseinandersetzungen die Schärfe nehmen, wenn man die Verhältnisse frühzeitig klärt – mit einem Testament. Aber ähnlich wie bei Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht schieben viele den Entschluss, sich hinzusetzen und den »letzten Willen« zu Papier zu bringen, lange vor sich her. Manche bekommen nie die Kurve. Nur etwa 25 Prozent der Deutschen haben ihr Testament gemacht. Dabei wäre es gerade in diesen Zeiten, in denen Familienverhältnisse oft unübersichtlich und kompliziert sind, ganz besonders wichtig – für unverheiratete Paare beispielsweise oder sogenannte Patchwork-Familien, in denen es »deine«, »meine« und »unsere« Kinder gibt.
Sind die Beziehungen komplex und die Ansprüche der verschiedenen »Erbberechtigten« unklar, hilft es, sich von einem Anwalt oder Notar beraten zu lassen. In weniger komplizierten Fällen genügt ein handschriftliches Testament. Das sollte allerdings so verwahrt werden, dass es nach dem Tod auffindbar ist und nicht einfach verschwinden kann, wenn es einem der Erben möglicherweise nicht behagt. Man kann es zum Beispiel bei einer außenstehenden Vertrauensperson oder beim Amtsgericht hinterlegen.
Es ist aber durchaus sinnvoll, auch schon für den Fall vorzusorgen, dass man sich bereits zu Lebzeiten nicht mehr alleine um seine Belange kümmern kann. Keiner ist vor plötzlichen Krankheiten oder Unfällen gefeit, die einem von einem Moment zum anderen das Heft des Handelns aus der Hand nehmen können. Und im Alter kann ein Sturz, ein Schlaganfall oder fortschreitende Demenz dafür sorgen, dass man seine Angelegenheiten nicht mehr eigenverantwortlich regeln kann. Auch hier ist es deshalb wichtig, frühzeitig Vorsorge zu treffen, zum Beispiel durch eine Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung, am besten beides. Denn hat man im Vorhinein nicht selbst festgelegt, wer die eigenen Interessen im Fall der Fälle vertreten soll, wird ein Gericht das bestimmen. Die Vertretungsbefugnis fällt jedenfalls nicht automatisch den nächsten Angehörigen zu. Deshalb empfiehlt das Bundesministerium für Justiz, »schon in gesunden Tagen vorausschauend für die Wechselfälle des Lebens zu entscheiden«. Damit gibt man keinesfalls sein Recht auf Selbstbestimmung auf, ganz im Gegenteil: Man kann sehr dezidiert festhalten, wer in welchen Bereichen und unter welchen Voraussetzungen Vollmachten erhält – und wer nicht. Damit sorgt man nicht nur für sich selbst vor, sondern gibt auch den Menschen, die man beauftragt, den Rückhalt, den sie möglicherweise in einer Auseinandersetzung mit anderen irgendwann einmal brauchen,
Weitere Kostenlose Bücher