Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)
von uns sind die geborenen Helden. Aber oft genügen schon Freundlichkeit und Fürsorge gegenüber jemandem, dem es schlecht geht, jemandem zuzuhören, der etwas loswerden muss, Trost zu spenden, Hilfe zu geben, in manchen Situationen nicht weg-, sondern hinzuschauen, sich vielleicht ehrenamtlich zu engagieren. Das mögen nur Kleinigkeiten sein, aber das ganze Leben besteht doch eigentlich nur aus aneinandergereihten Kleinigkeiten.
Nach dem Tod meiner Mutter schrieb mir eine ihrer alten Schulfreundinnen, wie sehr sie meine Mutter immer geschätzt habe, und sie erzählte von einem Erlebnis mit ihr in der harten Zeit nach dem Krieg, als es nichts zu essen gab und alle immer Hunger hatten. Da habe meine Mutter das Pausenbrot mit ihr geteilt – das werde sie nie vergessen.
Wenn wir also überlegen, was von uns bleibt, dann geht es nicht um die berühmte Warhol’sche »Viertelstunde Ruhm«, die mediale Aufmerksamkeit in einer Reality Show oder die trivialen Spuren, die wir auf Facebook oder Twitter hinterlassen. Dann geht es auch nicht um Heldentaten oder die zweifelhafte Berühmtheit, die, wie bei Herostrat, für Wahnsinn steht. Wenn nur eine kleine Erinnerung von mir bleibt, ein Erlebnis, ein Satz, der ein bisschen davon erzählt, wer und wie ich war, dann würde mir das schon genügen. Aber vielleicht wird es auch einmal sein, als wären wir nie gewesen, oder kaum – mein Vater wünschte sich für seine Trauerfeier dieses Gedicht zum Abschied:
Ich gehe langsam aus der Welt heraus
in eine Landschaft jenseits aller Ferne,
und was ich war und bin und was ich bleibe
geht mit mir ohne Ungeduld und Eile
in ein bisher noch nicht betretenes Land.
Ich gehe langsam aus der Zeit heraus,
In eine Zukunft jenseits aller Sterne
Und was ich war und bin und immer bleiben werde
Geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,
als wär ich nie gewesen oder kaum.
Hans Sahl, Strophen
Letzte Worte
Was ist Leben?
Es ist das Aufleuchten
eines Glühwurms in der Nacht.
Es ist der Atem eines Büffels im Winter.
Es ist der kleine Schatten, der übers Gras huscht
und sich im Sonnenuntergang verliert.
Crowfoot, Häuptling der Blackfoot-Indianer
vor seinem Tod am 25. April 1890
»Die interessantesten Fragen bleiben immer Fragen«, heißt es in Oskar und die Dame in Rosa. »Nur uninteressante Fragen haben eine endgültige Antwort.« 46
Das gilt auch für das Rätsel, das uns der Tod aufgibt. Um sein Geheimnis zu ergründen, hat der Schriftsteller Ernst Jünger »Letzte Worte« von Sterbenden zusammengetragen, in der Hoffnung, in diesen Äußerungen den Sinn eines gelebten Lebens zu entdecken. Er suchte nach Antworten – auch »für den, der früher oder später den gleichen Weg antreten, dasselbe Tor durchschreiten muss« 47 .
Aber auch hier hat sich wieder gezeigt, dass jeder Mensch seinen eigenen Tod stirbt, dass nichts vergleichbar oder allgemeingültig ist. Der Maler Corot hoffte darauf, »dass man auch im Himmel malen kann«, der Philosoph Hegel klagte am Schluss: »Von allen meinen Schülern hat mich nur ein einziger verstanden. Und der hat mich falsch verstanden«, und Charles Darwin, der Urvater der Evolutionstheorie, zeigte sich unerschrocken: »Es schreckt mich nicht im Geringsten, zu sterben.«
Sehr berührt hat mich die Geschichte der Malerin Paula Modersohn-Becker. Sie spürte den Tod kommen, schnell und unvermittelt, als sie mit nur 31 Jahren kurz nach der Geburt ihres Kindes an einer Embolie starb. »Wie schade!« Das waren ihre letzten Worte. Und sie trösten mich, weil sie eine so sanfte Mischung sind aus Bedauern und Ergebenheit. Kein Zorn, kein Auflehnen, kein Entsetzen, obwohl wir alle einen solchen Tod als grausam und ungerecht empfinden. Er hält sich nicht an Absprachen und Konventionen, er kümmert sich nicht darum, was wir vielleicht noch vorhaben, was unerledigt bleibt, wen wir zurücklassen. Sonst hätte er eine junge Mutter nicht von ihrem Kind weggerissen, eine begabte Künstlerin nicht von den vielen Bildern, die im Laufe der Jahre vielleicht noch entstanden wären. Aber Paula Modersohn-Beckers Leben war trotz allem erfüllt. »Mein Leben ist ein Fest«, hatte sie einmal in ihrem Tagebuch notiert, »ein kurzes intensives Fest.« Und in ihren Gemälden bleibt sie unvergessen, für mich vor allem in ihren klaren, schnörkellosen Bildnissen von Kindern in ihrer einfachen, übersichtlichen Welt.
Auch meine Kindheit war ein Ort, an dem ich mich sicher und geborgen fühlte, an dem mir alles verlässlich,
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