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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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auch zwei Bestatterinnen kennengelernt, die deshalb einen neuen, eigentlich alten, ursprünglicheren Umgang mit Tod und Toten pflegen. Raum und Zeit sind für Evelyne Fischer und Stefanie Jost zentrale Eckpunkte. Ein Trauergespräch mit Angehörigen kann hier schon einmal länger dauern, denn nach einem Todesfall haben die Hinterbliebenen oft das Bedürfnis, vom Verstorbenen zu erzählen, Erinnerungen zu teilen, die Probleme im Umgang mit dem Verlust und der Trauer zu formulieren. Deshalb soll hier der Tod nicht geschäftsmäßig abgewickelt werden, sondern das Gewicht erhalten, das ihm zusteht. Angehörigen wird die Zeit gegeben, die sie brauchen, um die neue Realität akzeptieren zu können.
    Das Bestattungshaus ist hell und freundlich, eingerichtet wie eine einladende Wohnung, in der nicht nur mit dem Tod umgegangen, sondern auch gelebt wird. Hier gibt es in einem als Wohnzimmer gestalteten Raum die Möglichkeit, in häuslicher, fast privater Atmosphäre ganz persönlich und in Ruhe Abschied zu nehmen. Anderswo ist es häufig immer noch so, dass man die Toten nur durch eine Glasscheibe in der gefliesten, kalten Friedhofshalle noch einmal sehen kann. Mein Mann fand seinen Stiefvater nach dessen Tod im Krankenhaus in der Ecke eines kalten und unpersönlichen Abstellraums, auf einer Trage am Boden. Und eine Bekannte erzählte voll Entsetzen, wie sie von ihrem verstorbenen Vater Abschied nehmen musste, im Totenraum im Klinikkeller – aufgebahrt neben Putzzeug und Gerümpel.
    Wenn auch unter anderen Umständen als solchen, ist es wichtig, den geliebten Menschen noch einmal zu sehen, seinen Tod im wahrsten Sinn des Wortes zu »begreifen«, sagen Evelyne Fischer und Stefanie Jost, vielleicht noch einmal seine kalten Hände anzufassen, über die Wange zu streichen, sich mit einem Kuss von ihm zu verabschieden.
    Ganz wichtig war auch für Ursula und ihre Familie, ihren kleinen Julian noch einmal im Arm gehalten, ihn berührt zu haben, auch als er schon tot und sein Körper schon starr und kalt war. Seine Gesichtszüge hatten sich verändert, waren fremd geworden, die Fingerchen blau. »Das war nicht mehr Julian«, beschreibt Ursula ihre Empfindungen von damals, »und das war ganz wichtig für mich, um ihn überhaupt hergeben zu können.«
    Auch die Ärztin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat bestätigt, wie wichtig gerade dieser physische Abschied ist. Selbst Eltern, deren Baby tot zur Welt gekommen oder kurz nach der Geburt verstorben ist, müssen die Gelegenheit haben, ihr Kind zu halten, anzuschauen und anzufassen. Das ermöglicht ihnen, die Realität anzunehmen, dass sie ein Kind hatten und verloren haben. Eltern, denen das nicht möglich oder erlaubt war, »machen eine viel längere Zeit der Trauer durch und verharren oft jahrelang in einem Zustand der teilweisen Leugnung« 36 .
    Um die Endgültigkeit des Todes also akzeptieren zu können, ist es wichtig, ihn »fassbar« zu machen. Das gelte auch bei schrecklichen Toden, nach einem Selbstmord, einem Unfall oder einem Verbrechen, bei dem Menschen verstümmelt oder entstellt wurden, sagen die Bestatterinnen. Fast immer gebe es einen Teil, der sichtbar bleiben könne, nur das Gesicht vielleicht oder eine Hand, auch wenn der Rest des Körpers abgedeckt werden müsse.
    In ihrem Haus bieten die Frauen auch an, den Toten gemeinsam mit den Angehörigen zu waschen und anzukleiden. Das ist ein uraltes und in allen Religionen und Kulturen verbreitetes Ritual, ein letzter, sehr vertrauter und intimer Akt der Liebe und Zuwendung, der den Abschieds- und Trauerprozess wesentlich erleichtern kann. Wobei niemandem vorgeschrieben oder geraten werden sollte, was für ihn oder sie im Einzelnen richtig oder verkraftbar ist.
    Schminken oder einen Toten »herauszuputzen«, wie es in der amerikanischen Beerdigungsindustrie heute üblich ist, lehnen sie in ihrem Bestattungshaus ab. Weder soll der Tote »in Szene gesetzt« noch sein Tod unsichtbar gemacht werden. In den USA dagegen ist es üblich, die Spuren der Vergänglichkeit oder eines hässlichen Todes kosmetisch zu vertuschen. Hier muss auch der Tote noch den Anforderungen einer auf Ästhetik ausgerichteten Gesellschaft genügen. Er soll gesund und frisch aussehen, eine Illusion von Leben will man aufrechterhalten, um die Lebenden vor dem wahren, dem erschreckenden Gesicht des Todes zu schützen.
    Dieses Verleugnen des Todes aber ist ein unheilvolles Dementi der Wirklichkeit, denn wie soll man begreifen, dass ein Mensch tot ist,

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