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Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition)

Titel: Sterben für Anfänger: Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Conrad
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Gelegenheit, ihm etwas mitzugeben: ein Briefchen, ein selbstgemaltes Bild, irgendein kleines Erinnerungsstück.
    Jonathan Safran Foers Roman Extrem laut und unglaublich nah handelt von der Trauer eines kleinen Jungen, der seinen Vater bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York verloren hat. Verzweifelt sucht der neunjährige Oskar nach einer Erklärung für das Unerklärliche, nach Antworten auf all seine offenen Fragen. Eines der ungelösten Probleme des Jungen ist, dass es seinen Vater nach der Katastrophe physisch nicht mehr gab, dass da nie ein Toter war, von dem er Abschied nehmen konnte, dass ein leerer Sarg beerdigt wurde. Der Tod des Vaters bleibt ihm somit un-»begreiflich«. Gemeinsam mit seinem Großvater, der Oskar helfen möchte und selbst auch ein ungeklärtes Verhältnis zu seinem Sohn hat, beschließt er deshalb eines Nachts, den Sarg seines Vaters auszugraben und mit etwas zu füllen, das Bedeutung hat, für sie und für ihn. Schließlich füllen sie ihn mit Briefen des Großvaters, in denen all das Wichtige steht, das er ihm im Leben nicht hatte sagen können. 37
    Grabbeigaben sind also viel mehr als Andenken, die man den Toten mitgibt. Sie sind eine Möglichkeit für den Trauernden, eine Beziehung zu einem Abschluss zu bringen, an der nichts mehr verändert werden kann.
    Diese Zeit zwischen Tod und Beisetzung ist, wie gesagt, eine besonders wichtige Phase der Trauer. Der Religionssoziologe Yorick Spiegel spricht von den »rites de passage«, Übergangsriten, die in dieser Zeit vollzogen werden. Eine wesentliche Funktion des Bestattungsrituals ist dabei, mit der Realität des Todes konfrontiert zu werden, seine Unumkehrbarkeit anzuzeigen, die endgültige Trennung vom Verstorbenen in kleinen, nachvollziehbaren Schritten zu durchleben. 38
    Und es ist ganz besonders wichtig, Kinder an diesen Ritualen teilhaben zu lassen, sie nicht von der schmerzlichen Erfahrung von Sterben und Tod fernzuhalten oder abzuschirmen. Auch ausweichende oder beschönigende Auskünfte sollten unbedingt vermieden werden. Sätze wie: »Die Großmutter ist ganz weit weg verreist, in ein fernes Land«, »Opa schläft jetzt ganz lang und tief« oder »Mama ist jetzt beim lieben Gott« sind zwar gut gemeint und darauf ausgerichtet, Kinder vor dem Trauma und Schmerz eines Abschieds zu schützen. Solche vagen Antworten auf ihre dringlichen Fragen veranlassen Kinder aber eher dazu, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen, und setzen Phantasien in Gang, die oft viel dramatischer und traumatischer sind als die Wahrheit. Kinder neigen dazu, sich selbst die Schuld zu geben, oft glauben sie, sie hätten etwas falsch gemacht. Es entsteht das Gefühl, hintergangen worden zu sein oder die Vorstellung, der Verstorbene habe sie gar nicht richtig liebgehabt, sei ohne Abschied einfach gegangen, hätte sie gewissermaßen zur Strafe verlassen. 39
    Kinder sind robust, sie verkraften die Wahrheit meist besser, als Erwachsene glauben, aber natürlich muss jede Erklärung kindgerecht und in verständliche Worte gefasst sein. Man sollte sich viel Zeit für ausführliche Gespräche nehmen und dabei immer an den Bedürfnissen des Kindes orientieren.
    *
    Das Unwiderrufliche des Todes wird am deutlichsten im Moment der Beisetzung. Hier findet die allmähliche Ablösung vom Verstorbenen ihren Abschluss. »Die stärkste Bekräftigung des Todes ist das Versenken des Sarges und der erste Erdwurf.« 40
    Es ist ein Ritual, das weltweit die physische Trennung vom Toten signalisiert und seine Hülle einer letzten Ruhestätte übergibt. Für die Verstorbenen und noch viel mehr für die, die um sie trauern, markiert diese Zeremonie den Übergang in einen anderen Zustand, für manche in ein anderes Sein. Wie alle Übergangsriten soll sie Halt und Stabilität geben in einer Zeit, in der Menschen ihre Balance und Orientierung verloren haben. Je aktiver der Trauernde in diese Rituale eingebunden ist, desto befriedigender erlebt er den Abschied und kann ihn als Ablösung verstehen.
    Die einen vertrauen dabei auf das kirchlich-christliche Zeremoniell mit Trauergottesdienst, Geleit zum Grab, Segen und schließlich dem Übergeben des Verstorbenen in die Obhut Gottes. Dreimal wird in Erinnerung an die Dreifaltigkeit Gottes, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, Erde ins Grab geworfen, und der Pfarrer spricht die Formel: »Erde zu Erde, Asche zu Asche und Staub zu Staub.« Diese Worte sollen verdeutlichen, dass der Mensch dahin zurückkehrt, von wo er gekommen ist.

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