Sterben in Rom
häufig von Tinto, dem Führer unserer Sippe, gemaßregelt worden, und manches Mal, da war ich sicher, hatte nur der Kodex der Alten Rasse, der da heißt, daß kein Vampir den anderen töten dürfe, Tremor vor ärgster Strafe bewahrt.
Ein Sprichwort der Menschen besagt, daß der Krug so lange zum Brunnen geht, bis er bricht. In dieser Hinsicht schien mein Bruder seinem schwarzen Blute zum Trotz allzu menschlich geblieben zu sein .
Die Kunde, daß die verhaßten Häscher Tremor gefangengenommen hätten, verbreitete sich einem Lauffeuer gleich in unserer Sippe. Doch fand niemand sich bereit, etwas zu seiner Rettung zu unternehmen. Und Tinto selbst, den ich um Hilfe ersuchte, kaum daß die Sache mir zu Ohren gekommen war, schien ganz und gar nicht unglücklich über den Lauf der Dinge und legte tatenlos die Hände in den Schoß.
Heute bin ich fast sicher, daß mein damaliger Verdacht der Wahrheit nahekommt: Tinto selbst mochte die Jäger, die unter dem Banner des Verhaßten wirken, selbst auf Tremor angesetzt haben, um sich des ungeliebten, weil allzu eigenmächtigen Sohnes auf diese Weise zu entledigen.
Tintos Kontakte in die Bastion des Feindes waren ein offenes Geheimnis gewesen, und es schien eine Art Stillhalteabkommen gegeben zu haben. Anders wäre es auch kaum zu erklären gewesen, daß die Alte Rasse sich unbehelligt auf römischem Boden hatte entfalten können in all den Jahrhunderten. Meine persönliche Mutmaßung ging sogar noch weiter: Ich war und bin fast sicher, daß Tinto wahre Gefolgsleute innerhalb des Vatikans besessen hatte. Wie weit sein Einfluß indes in der dortigen Hierarchie hinaufreichte, darüber mochte nicht einmal ich Vermutungen anstellen .
Nun, es war auch nicht von wirklichem Belang in jener Nacht. Fakt war einzig, daß niemand sich mir anschließen wollte, als ich aufbrach, um meinem Bruder beizustehen. Und so trat ich den Weg in die Via Alessandro Severo allein an.
Mut, Zorn und Sorge von einer Art, wie sie den anderen fremd waren, trieben mich in die Höhle jenes Löwen, dessen wahrer Name Don Gabriele Amorth war - den man in Rom jedoch vor allem als den Exorzisten des Vatikans kannte!
*
Der Wohn- und Wirkungssitz des Padre Amorth an der Via Ales-sandro Severo glich eher einer Festung denn einem Haus, in dem ein Mensch sich wohlfühlen konnte. Nun, ein Mensch, der daran vorbeiging, mochte die üble Ausdünstung des Gebäudes vielleicht nicht einmal wahrnehmen.
Für mich jedoch war es, als näherte ich mich einer stinkenden Kloake, und jeder einzelne Schritt kostete mich Überwindung. Grundlos hätte ich keinen Fuß auch nur in diese Gegend gesetzt. Der bloße Gedanke an meines Bruders Schicksal jedoch setzte Kräfte in mir frei, von denen ich zuvor nicht einmal geahnt hatte.
So gelang es mir - trotzdem freilich unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung, derer ich fähig war - die trutzige Mauer um das Grundstück zu erklimmen und mich in den Anlagen des parkähnlichen Gartens zu verbergen, um das Haus selbst zunächst zu beobachten.
Einen Plan zur Rettung meines Bruders hatte ich nämlich noch nicht ersonnen. Wie auch? Ich kannte weder den Ort, an dem er gefangengehalten wurde, noch die weiteren Gegebenheiten ...
... aber ich kam auch nicht dazu, weiter darüber nachzusinnen! Denn mit einemmal war mir, als könnte ich die Schreie Tremors hören - und seinen Schmerz spüren!
Vielleicht war eine Art Vorbote des Todesimpulses, der die Angehörigen einer Sippe alarmierte, wenn einer der ihren starb, dafür verantwortlich; möglicherweise aber empfing ich die Signale auch über jenes besondere Band, das zwischen uns Brüdern bestand.
In jedem Fall wußte ich, daß ich keine Sekunde mit theoretischen Überlegungen vergeuden durfte. Ich mußte handeln, wenn ich Tre-mor noch helfen wollte - und es mußte schnell geschehen!
Ich zweifelte nicht mehr daran, daß mein Bruder in genau diesem Haus festgehalten wurde - und offenbar schrecklichster Folter ausgesetzt war. Sicher gab es in den Kellern entsprechende Räumlichkeiten, wo der Exorzist und seine Getreuen ihrem abartigen Werk nachgingen.
Also mußte ich in das gewaltige Haus, das fast schon einem Palaz-zo ähnelte, hinein. Die Fenster im Erdgeschoß waren mit schmiedeeisernen Gittern gesichert, aber sie waren meiner ohnehin schon nichtmenschlichen und nun noch wutgenährten Kraft nicht gewachsen. Ich riß eines aus dem Mauerwerk, setzte dann zurück und verwandelte mich. Ich wählte die Gestalt eines Wolfes, und als solcher
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