Sterben in Rom
Wagen wohl in erster Linie zum Leichentransport benutzt wurde, denn eine medizinische Versorgung von Verletzten war mit der vorhandenen Ausrüstung wohl kaum zu bewerkstelligen.
»Was hast du vor, wenn wir am Ziel sind - ganz gleich, wo dieses Ziel auch liegen mag?« probierte Lilith ein weiteres Mal, ihrem Ge-fährten irgendwelche Informationen zu entlocken.
»Wart's ab«, erwiderte er nur.
»Verdammt«, zischte sie, »ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache!«
»Darf ich dich daran erinnern, daß ich dich nicht gezwungen habe, mir zu folgen?« gab er zurück. Sie konnte sein eigentümliches Lächeln spüren, noch ehe sie es sah.
»Nein, natürlich nicht«, sagte sie leise.
»Vertrau mir.«
Seine Hand kroch über den Deckel des Zinksarges wie eine fünf-beinige Spinne aus totenbleichem Fleisch. Eisig war ihre Berührung, trotzdem ließ Lilith es zu, daß seine Finger sich um die ihren schlos-sen. Leidlich tröstende Zuversicht keimte in ihr, drohte aber fast umgehend in eigenen Zweifeln zu ersticken.
Lilith versuchte sich abzulenken und nicht daran zu denken, wo sie sich befand - und dabei verfiel sie auf einen Gedanken, den sie zuvor schon zu verdrängen versucht hatte.
Das Gefühl jenes besonderen, seltsamen Durstes, den offenbar nichts zu stillen vermochte .
Wenn sie nicht daran dachte, dann war es, als gäbe es ihn nicht -oder wenigstens nicht in dem Maße, daß sie ihn als quälend empfunden hätte. Nun jedoch, da sie sich seiner wieder erinnert hatte, verspürte sie diesen Durst, und er schien ihr mit noch mehr Macht zurückgekehrt.
Er äußerte sich nicht in trockener Kehle oder sandigem Gaumen, sondern als kaltes Brennen, das tief in ihr saß und fraß, vielleicht in ihren Eingeweiden selbst. So jedenfalls fühlte es sich an. Unwillkürlich beugte sie sich ein wenig vor, als würden Bauchkrämpfe sie plagen.
Lilith wußte, daß ihr Gefährte diese Art von Durst ebenfalls kannte, und auch die Symptome waren bei ihm die gleichen. Nur hatten sie es in den vergangenen Stunden vermieden, darüber zu sprechen.
Weil auch er diesen Brand nur verdrängen konnte, wenn er nicht daran dachte.
Trotzdem - über kurz oder lang würde ein Problem daraus werden. Denn nichts, was sie bislang versucht und zu sich genommen hatten - von Wasser bis hin zu Wein -, hatte diesen Durst gestillt .
Denk an etwas anderes! hämmerte Lilith sich ein, denn je länger sie darüber nachsann, desto ärger wurde dieses peinigende Gefühl.
Der Gedanke verging, von einem Moment zum nächsten. Weil etwas ganz und gar anderes Liliths Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Etwas jedoch, das ihr fast noch schlimmer schien als ihr Durst.
Ein Klopfen, dumpf und dröhnend.
Etwas schlug gegen Metall.
Jemand schlug gegen -
- den Deckel des Sarges!
Von innen!
Lilith spürte den Schrei in ihrer Kehle aufsteigen, wollte ihn zurückhalten, doch sie fühlte sich wie gelähmt, zu keiner willentlichen Reaktion fähig. Ein Laut, der ihr lächerlich und entsetzlich in einem vorkam, drängte über ihre Lippen, während sie mit aufgerissenen Augen die Zinkwanne anstarrte, aus der nach wie vor schaurige, unmögliche Geräusche drangen!
Ihr Gefährte schien kaum weniger überrascht. Doch überwand er den Schrecken ungleich schneller. Die Faszination in dem Blick, mit dem er den Sarg maß, schien Lilith fast schon abartig.
Und dann tastete er nach den Verschlüssen zu beiden Seiten des Deckels!
»Was tust du da?« stieß Lilith entsetzt hervor.
»Na, was wohl?« Mit klickenden Geräuschen schnappten die Verschlüsse auf.
»War sie denn ...«, stammelte Lilith, »... ich meine ... ist sie denn nicht ...?«
»Tot?« fragte er über den Sarg hinweg.
Sie nickte.
»Wer weiß? Wir werden es gleich erfahren.«
Wieder wurde von unten gegen den Deckel geschlagen, nach dem der Mann ohne Namen gerade gegriffen hatte, um ihn abzuheben. Das erübrigte sich - - denn der Sarg öffnete sich, als wäre darin etwas explodiert! Der Deckel flog zur Seite weg. Hart prallte das Teil gegen Lilith.
Mit einem Aufschrei stürzte sie erst gegen die Fahrzeugwandung, dann rutschte sie, den Deckel wie haltsuchend umklammernd, zu Boden.
Während das Mädchen, das unmöglich leben konnte, sich aus seinem Sarg erhob.
Ein einziger Blick genügte Lilith, um zu wissen, daß, was immer dieses Mädchen auf die Beine zwang, kein Leben sein konnte, wie sie es kannte.
Ein, zwei Sekunden stand das Mädchen mit der zerrissenen Kehle wie unschlüssig da, als wüßte es weder, wo es
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