Sterben in Rom
Mann gut sehen. Eine Antwort auf die Frage, was er und seine Begleiterin bewogen hatte, in den Leichentransporter zu steigen, brachte ihm das natürlich nicht.
Vielleicht zwei Freaks, überlegte er, die es mal an einem ungewöhnlichen Ort hatten treiben wollen .
Die junge Frau wurde gerade auf eine Trage gebettet, die Sekunden später in ein bereitstehendes Fahrzeug geschoben wurde. Mit dem Fremden befaßte sich der Notarzt, den der junge Sanitäter von gemeinsamen Einsätzen her kannte.
»Was ist mit ihm?« rief er dem Mediziner zu.
Der zuckte die Schultern.
»Keine Lebenszeichen«, erwiderte er. »Ich kann zwar keine Verletzungen feststellen, zumindest keine, die tödlich wären, aber -« Er sprach nicht weiter und warf Giovanni nur einen bezeichnenden Blick zu.
»Jag ihm ein paar Volt in die Brust«, schlug der junge Mann vor. »Vielleicht steht er ja auch darauf.« Sein Grinsen konnte nur der als nicht fehl am Platze empfinden, der wie Giovanni fast täglich mit dem Tod konfrontiert wurde und gewisse Schutzmechanismen entwickelte - absonderlichen Humor etwa.
»Was?« fragte der Notarzt verwundert.
»Schon gut«, sagte Giovanni. Seine Vermutungen über die Beweg-gründe des Fremden behielt er für sich.
Der Notarzt ließ sich das Reanimationsgerät bringen. Eilends machte er den Apparat bereit, während ein Assistent die Brust des Toten freilegte. Der Mediziner setzte die beiden Kontakte an und nickte einem Dritten zu. Der drückte eine Taste des Geräts - - und der Tote bäumte sich auf. Sackte zurück. Blieb liegen.
»Noch einmal«, rief der Notarzt.
Wieder ließen hohe Voltzahlen den leblosen Leib tanzen.
Der Notarzt überprüfte Puls, Herzschlag und Atem des namenlosen Mannes.
»Nichts zu machen«, murmelte er. »Verdammt .«
Er neigte dazu, jeden Patienten, den er an den Sensenmann verloren geben mußte, als persönliche Niederlage anzusehen. Auf Dauer eine zermürbende Sicht der Dinge, aber er kam einfach nicht dagegen an. Diesmal jedoch - Dem jungen Mediziner versetzte es einen Schlag, als jagten plötzlich Stromstöße durch seinen Körper. Seinen beiden Assistenten wie auch Giovanni erging es nicht anders. Sie zuckten zusammen und verharrten dann stocksteif, wie in der Bewegung eingefroren.
Was sie hörten und sahen, war den Worten des Notarztes zufolge unmöglich. Und doch gab es keinen Zweifel, nicht den geringsten.
Der Mann, dessen Tod der Mediziner vor kaum einer halben Minute festgestellt und niedergeschlagen akzeptiert hatte, richtete sich auf.
Und er sprach! Aufgebracht und erbost, fast schon wütend!
»Idioten! Wollt ihr mich umbringen?«
*
Zu dieser später - oder eher schon wieder frühen - Stunde, da die Touristengruppen fehlten und der Verkehrsfluß kaum nennenswert war, erinnerte die Via Appia Antica noch am ehesten an jene Zeit, als sie angelegt worden war. Im Jahre 312 war mit dem Bau der fast 200 Kilometer langen Verbindung zwischen Rom und Capua begonnen worden. Der laue Wind sang in den Pinien und Zypressen ringsum, und phantasiegesegnete Naturen mochten darin Lieder erkennen, die von der Glanzzeit der Regina viarum, der Königin der Straßen, erzählten.
Tacitus kannte diese Zeiten nicht aus eigener Anschauung. Sein zweites Leben und das seines Bruders, das ihnen aus dem Lilienkelch geschenkt worden war, hatte erst Jahrhunderte später begonnen. Zu einer Zeit, da selbst die Katakomben entlang der Via Appia nur noch Relikte der Vergangenheit gewesen waren und nicht mehr für Begräbnisse genutzt wurden. Dennoch wußte er natürlich um ihre Geschichte. Historische Studien hatten seit jeher zu seinen favorisierten Beschäftigungen gezählt.
Die römische Campagna war hervorragend geeignet gewesen, um unterirdische Gänge und Gewölbe anzulegen: Ihr weicher Tuffstein ließ sich mühelos aushöhlen, im Kontakt mit der Luft wurde er dann steinhart. Seit dem 2. Jahrhundert hatten die Christen, weil ihnen die Feuerbestattung verboten gewesen war, ihre Toten in unterirdischen Gemeinschaftsgräbern hier draußen, vor den Mauern Roms beigesetzt, denn Grundstücke waren zu jener Zeit ebenso teuer wie knapp gewesen. Außerdem verbot das römische Gesetz Bestattungen innerhalb der Stadt.
Gelegentlich hatte man sich in den Katakomben auch zum Gottesdienst versammelt. Eine Vorstellung, die Tacitus schaudern ließ .
Mit der Zeit verloren die Katakomben ihre Bedeutung als Begräbnisstätten. Die meisten Toten gerieten in Vergessenheit, die Gräber der Märtyrer wurden in Kirchen
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