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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Kleis
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Todesfälle, die hierzulande auf das Konto von MRSA gehen sollen, in einer gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin sowie des Bundesverbandes der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes deutlich nach oben korrigiert. Statt wie bislang von 7.500 bis 15.000 Fällen sei mit bis zu 50.000 Todesfällen pro Jahr zu rechnen. Und ging man bislang von 400.000 bis 600.000 Infektionen jährlich aus, so ist diese Zahl auf stolze 700.000 gestiegen. [53] Längst hat das Robert-Koch-Institut MRSA in den exklusiven Club der 26 Erreger mit der höchsten Prioritätsstufe aufgenommen. Es steht damit in einer Reihe mit HIV , Influenza, Legionellen, Masern oder Tuberkulose. Ins öffentliche Bewusstsein hat es MRSA damit allerdings noch längst nicht geschafft. Das auch, weil die Medien da erstaunlich viel Nachsicht walten lassen – jedenfalls im Vergleich zum ›Katastrophen-Automatismus‹, der etwa bei H 1 N 1, dem Schweinegrippe-Erreger, angelaufen war und der WHO den Verdacht eingebracht hatte, ›Welt-Hysterie-Organisation‹ zu sein. In Deutschland blieben die Länder auf Kosten von 239 Millionen Euro sitzen, weil die Krankenkassen nur für Schweinegrippen-Impfdosen zahlten, die auch genutzt wurden. [54]
    Ein ähnliches öffentliches Interesse und finanzielles Engagement würde man sich auch bei MRSA wünschen. Doch im Unterschied zur Schweinegrippe, die der Pharmaindustrie enorme Gewinne bescherte, macht die MRSA -Prävention bloß viel Arbeit, kostet sehr viel Geld und bringt lediglich den Patienten etwas. Nur vier Bundesländer – Berlin, Bremen, Sachsen und das Saarland – verfügen über eine bindende Krankenhaus-Hygieneverordnung, die einen Hygienefacharzt an Kliniken mit mehr als 400 Betten vorschreibt. Und selbst dort gewinnt man den Eindruck, dass eine entsprechende Fachkraft vor allem eine Aufgabe hat: als Sündenbock herzuhalten. Kommt ja deutlich günstiger, wenn bloß ein Arzt und nicht die ganze Klinik in Misskredit geraten. So in dem Krankenhaus in Bremen, in dem im August 2011 gleich drei Frühchen an multiresistenten Keimen verstarben und im Oktober noch ein weiteres.
    Als erste Maßnahme wurde der betreffende Chefarzt entlassen, frei nach der guten alten Devise des Satire-Magazins Titanic , »Um ein Abo zu kündigen, muss man erst mal eines haben«, erwies sich der Hygieneverantwortliche als perfekte Ablenkung vom eigentlichen Problem der MRSA -Prävention: Personalmangel. Insgesamt 13 Überlastungsanzeigen wurden in Bremen an die betroffene Klinikleitung weitergegeben. Weil Mitarbeiter auf der Frühgeborenenstation erkrankten, sei es personell »eng« geworden. Die medizinische Betreuung wurde auf das Nötigste reduziert, so der Betriebsrat. [55] Auch war bekannt geworden, »dass der bereits entlassene Chefarzt der Kinderklinik die Spitze der Krankenhausgesellschaft mehrfach über einen eklatanten Personalmangel auf der Station für Frühgeborene informiert und um Unterstützung gebeten hatte.« [56] Aber nichts war unternommen worden.
    Bei Säuglingen ist MRSA noch ein Aufreger. Es gibt Schlagzeilen, es werden Konsequenzen gefordert. Ansonsten wird von dem Umstand, dass jährlich praktisch die Bevölkerung einer Kleinstadt verschwindet, kaum Notiz genommen. Als seien die Folgen der Erreger ein Kollateralschaden von Krankheit, ein Naturereignis. Besonders bei älteren Menschen. Wer will sich schon über fünf Jahre mehr oder weniger aufregen, wenn er selbst nicht derjenige ist, dem MRSA gerade einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. »Ich doch nicht!«, glauben wir und erliegen damit einem fatalen Irrtum. Das »größte Infektionsproblem der modernen Medizin« [57] betrifft alle, die ein Krankenhaus betreten. Und es gibt nur ein einziges Mittel dagegen: eine gute Hygiene, und die wiederum steht in einem direkten Zusammenhang mit der Personallage. Die Erreger wandern wie beim Staffellauf vor allem über die Hände von Patient zu Pflegern, zu Krankenschwestern, Ärzten und Ärztinnen und dann zu anderen Patienten. Mit konsequentem Einsatz von Desinfektionsmittel könnte das Infektionsrisiko eingedämmt werden. Trotzdem zeigen aktuelle Studien, dass von 100 notwendigen Händedesinfektionen nur 20 bis 50 tatsächlich ausgeführt werden. Einer von vier Ärzten, so eine Studie von Heidelberger Wissenschaftlern, desinfiziert sich nicht die Hände, nachdem er Kontakt zu einem Patienten mit einer

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