Sterben Sie blo nicht im Sommer
trotz MRSA noch eine PEG -Sonde zu legen, also eine Wunde zu verursachen. Schwestern marschieren einfach so wie sie sind mal eben kurz ins Krankenzimmer, um dies oder jenes schnell zu erledigen. Hautkontakt mit den Patienten eingeschlossen. Die Stationsärztin scheint MRSA sowieso für deutlich überschätzt zu halten. Sie schützt sich praktisch gar nicht, und auch der Klinikleiter glaubt, dass Status an sich schon immunisiert. Nur ich werde einmal ordentlich zusammengefaltet, weil ich meinen Laptop mit ins Krankenzimmer gebracht habe. Ich will meiner Mutter via Facebook zeigen, was ihre Enkel in Finnland so treiben. »Sind Sie denn verrückt geworden? Der muss jetzt hier bleiben!«, sagt die Schwester. Ihre Kollegin aus der nächsten Schicht zeigt jedoch keinerlei Interesse, als ich am Ende der Besuchszeit mit meinem Laptop das Zimmer verlasse, wie wir überhaupt Taschen einfach so raus- und reintragen können. Da nun sämtliche Patienten auf der Station MRSA -Träger sind, liegt meine Mutter in der Reha nicht allein im Zimmer. Das wird sich in den nächsten Kliniken ändern. Dort wird man sie in Einzelzimmern isolieren. Niemand wird da sein, der nach der Schwester klingelt, wenn meine Mutter, was gelegentlich passiert, aus dem Bett rutscht und halb zwischen Boden und Matratze hängen bleibt, wie ein unvollendeter Salto rückwärts in ein imaginäres Schwimmbecken. Keiner ist bei ihr, der ihr nachts sagt, dass sie bloß einen Albtraum hat, wenn sie meine Schwester und mich schlafend in ihrem Zimmer glaubt, während sie zu Tränen verzweifelt nach uns ruft. Sie erzählt uns am nächsten Morgen: »Ich wollte euch nur sagen, dass ihr gar nicht mehr hier sein dürft! Das ist streng verboten.« Niemand wird helfen, wenn sie abends versucht, uns noch einmal anzurufen, um sich noch einmal von mir oder von meiner Schwester oder von meinem Vater versichern zu lassen, dass wir wirklich morgen früh gleich wieder bei ihr sein werden. Oft wird ihr dabei der Hörer aus den Händen gleiten und wir werden unerreichbar für sie bleiben. Manchmal läuft auch der Fernseher noch stundenlang, weil sie sich in den vielen Optionen der Schalttastatur verheddert. Die vollen Windeln, Schmerzen, dass ihr die Gliedmaßen einschlafen, wenn sie zu lange in einer Position oder unbequem gelagert ist, die stickige Luft im Zimmer. Sie wird immer wieder Hilfe brauchen, aber nicht in der Lage sein, sie zu veranlassen. Wir sind von morgens bis abends da. Trotzdem bleiben zwölf bis vierzehn Reststunden, in denen sie allein ist. In der Reha gibt es nur eine Klingel, die man fest drücken muss, unmöglich für meine Mutter. Später, in der nächsten Klinik, wird meine Mutter vergessen, dass es eine Klingel gibt, und wenn sie sie in der Hand hält, weiß sie nicht, was sie damit anfangen soll. Es wäre in jeder Hinsicht sehr viel leichter für sie wie für uns gewesen ohne diesen MRSA -Keim, mit anderen Patienten im Zimmer, und vermutlich hätten auch die Schwestern einmal mehr nach ihr gesehen, hätten sie dafür nicht mehr Kostümwechsel in Kauf nehmen müssen als Heinz Rühmann in »Charlies Tante«. In der Reha aber bleibt man MRSA -tiefenentspannt. Nicht weiter schlimm findet man es, dass der Therapie-Minimalismus wegen der Infektion nun noch einmal um 50 Prozent reduziert wurde. Ja, schade, aber leider nicht zu ändern. Wir wissen, die Zeit rast. Der Tod hat quasi schon sein Handtuch auf den Liegestuhl meiner Mutter gelegt. Wir haben keine weiteren Chancen mehr, ihren Aktionsradius und damit ihre Lebensqualität mit therapeutischer Hilfe verbessern zu können. Es wird niemand kommen und sagen: ›Familie Kleis, das machen wir jetzt einfach noch mal‹, oder ›Imtraud Kleis’ Sterben, die zweite!‹, wie bei Filmaufnahmen, wenn jemand gepatzt hat. Wir versuchen zwar mit Lernbüchern für Kinder, mit Puzzles, mit Übungen, die meiner Mutter ihre linke Seite wieder näherbringen sollen, die riesigen Behandlungs- und Therapielücken zu füllen. Aber es ist, als sollte man mit Messer und Gabel die MIR nachbauen. Wir haben einfach keine Ahnung. Jedenfalls nicht von: Aktivierende Pflege, Führung und Förderung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens, Kinaesthetics, Basale Stimulation ® , Wahrnehmungsförderung nach Christel Bienstein und Andreas Fröhlich, Lagerungen nach dem Bobath-Konzept, FO -Therapie nach Kay Combes«; von Ergotherapie, basaler Stimulation, Anbahnung von Kommunikation, von früher kognitiver Förderung, einschließlich
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