Sterben Sie blo nicht im Sommer
Orientierungstraining, sowie der Behandlung von Wahrnehmungsstörungen nach dem St. Gallener Konzept, von facio-oraler Therapie nach den Konzepten von Kay Coombes und Castillo Morales, Behandlung von Schluck- und Essstörungen, Behandlung von Facialisparesen, oralem Kostaufbau; von Physiotherapie, Heilerziehungspflege, Maltherapie.
Deshalb wende ich mich nun direkt an die Leitung des Klinikkonzerns, zu dem auch die Reha gehört. Ich denke: Ich habe einen Presseausweis, und jetzt werde ich ihn auch mal benutzen. Ich will, dass meine Mutter bekommt, was ihr zusteht. Bezahlt wird schließlich für den »Zauberberg«. Was wir bislang erlebt haben, erinnert eher an »Bates Motel« aus Hitchcocks »Psycho«. Und nein, ich bin nicht besonders anspruchsvoll und auch nicht allein mit dieser Erfahrung. Eine Freundin und Kollegin wird mir später erzählen, wie ihre Mutter mit Sprachstörungen nach einem leichten Schlaganfall in eine Rehaklinik kommt, wo sich die einzige Logopädin dieser Einrichtung gerade genauso lange in Urlaub befindet, wie der Aufenthalt der Mutter währt. Tatsächlich meldet sich auf meine Mail bald telefonisch ein Mitarbeiter der Konzern-Pressestelle. Er hat sich vorbereitet. Er sagt, er habe sich mal angeschaut, was ich eigentlich so schreibe. Ich sei ja wohl beruflich eher im Unterhaltungsfach unterwegs. Was als Untertitel mitläuft: Glauben Sie wirklich, dass Sie jemand ernst nimmt bei einem medizinischen Thema? Er sagt: Ich sei wahrlich nicht die Erste mit einem Presseausweis und einem Angehörigen in einem der Häuser des Konzerns. Er meint: Das haben schon ganz andere versucht. Als Beweis erzählt er mir eine Geschichte. Darin nimmt der Herausgeber einer der beiden großen deutschen Tageszeitungen seine sehr alte und sehr kranke Mutter wider dringenden ärztlichen Rats mit auf eine Reise. Nach wenigen Tagen erleidet die Frau einen Zusammenbruch. Man bringt sie in die nächste Klinik. Zufällig eine Niederlassung des Konzerns. Dort sei sie dann gestorben. Der Sohn habe die Klinik für den Tod seiner Mutter verantwortlich gemacht. »Ich bitte Sie!«, sagt der Klinik-Sprecher, deutlich amüsiert über das Ausmaß dieser Blödigkeit. Er meint: Alle Angehörigen, sogar die ganz wichtigen, sind komplett verrückt, wenn sie glauben, den Klinikkonzern in die Pflicht nehmen zu können für das Schicksal. Trotzdem spricht mich der Chefarzt der Reha-Klinik am Tag nach diesem bizarren Telefonat an. Dafür ist er eigens in das Zimmer meiner Mutter gekommen. Er möchte reden. Ich bin beschäftigt. Ich lerne gerade, meine Mutter zu waschen, zu windeln, zu lagern. Diesen Termin bei der Lehrschwester zu bekommen, hat mich sehr viel Mühe gekostet. »Da sind Sie aber ganz schön spät dran!«, hatte sie mich angepampt, als ich immerhin 14 Tage vor der geplanten Entlassung meiner Mutter bei ihr anrief. Sie wäre praktisch schon im Urlaub. Ihr erster übrigens dieses Jahr. Ich finde das mäßig beeindruckend, wir haben Juni und nicht November. Mein Mitleid ist seit der Diagnose ohnehin stark rationiert. Meine Mutter braucht nun alles, was ich habe. Ich kann kein einziges Stück davon abgeben. Nicht für Urlaubsfreuden. Ich bekomme meinen Termin. Am letzten Tag in der Reha. Nach sechs Wochen soll meine Mutter morgen zur Behandlung in der Strahlenklinik entlassen werden. Eine Verlängerung war nicht drin. Das sei allein unsere Schuld, hatte der Oberarzt in unserem letzten Versuch, noch ein, zwei weitere Wochen, mehr Therapien aus ihm rauszubetteln, die Tatsachen verdreht. Wir wären es gewesen, die den Medizinischen Dienst zu einer Prüfung veranlasst haben. Der hätte nun festgestellt, dass ein weiterer Verbleib unserer Mutter in der Reha nicht angezeigt ist. Das ist so unglaublich absurd, dass man es beinahe schon lustig finden könnte. Ebenso wie das Anliegen der Klinik, meine Mutter, die »so wunderschön lächeln kann«, für die neue Image-Broschüre des Hauses abzulichten. Ihr Leben nach dem Tod als Werbeträgerin für »Bates Motel«? Da wird nichts draus. Ebenso wenig wie aus dem Versuch des Arztes, uns ein schlechtes Gewissen zu machen. Vermutlich würde dieser kleine Mann im weißen Kittel auch lieber Leben retten oder wenigstens an einem Mittel gegen Krebs forschen, als hier am Katzentisch der Medizin die Gewinne des Konzerns damit zu mehren, Patienten auf therapeutische Diät zu setzen. Nun will der Chefarzt Kundenzufriedenheit abfragen. Am letzten Tag darf ich nun sagen, dass meine Mutter nicht mal einen
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