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Sterben War Gestern

Sterben War Gestern

Titel: Sterben War Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Waffender
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stemmte die Hände in die Hüften: „Wann fahren wir los?“
    In dem Erdloch herrschte gespenstische Stille. Keiner der Touristen, die an diesem Tag durch den Wald spazierten, hätte vermutet, was sich in dem kleinen Häuschen verbarg. Beschaulich sah es von außen aus, ein Privatweg führte zu der abgeholzten Fläche, auf der es stand, nahe an einem der Forst- und Wanderwege. Es gab mehrere dieser Hütten im Umkreis, früher beliebte Feriendomizile parteitreuer Genossen, heute verkauft oder verpachtet an Familien mit Kindern oder umgebaut zur Ferienwohnung an Wald und Meer. Nicht alle verfügten über einen Aushub. Nur diejenigen, die in der DDR etwas zu bunkern hatten. Und sowenig vierzig Jahre zuvor ein Mensch auf die Idee gekommen wäre, dass Oberstleutnant Karl Gerber hier ein Waffenlager eingerichtet hatte, um jederzeit in welchen Krieg auch immer ziehen zu können, sowenig machte sich nun jemand eine Vorstellung davon, dass dort unten seit sechsundzwanzig Stunden eine junge Frau einem Toten gegenübersaß.
    Dass sie nicht schrie, dass sie nicht tobte, dass sie nicht versuchte, ihrem Gefängnis zu entkommen, lag an der Flüssigkeit, die Ellen Weyer zu sich genommen hatte. Vermischt mit demselben Stoff, der ihr bereits einen Tag zuvor verabreicht worden war. Wenn sie erwachte, glaubte sie sich im Traum, machte Zwischenstation auf einer langen Reise, deren Ursprung und Ziel sie nicht kannte. Ihre Gehirnfunktionen waren auf ein lebenserhaltendes Level herabgesetzt, und sie würde zu sich kommen, bevor sie verhungert oder dehydriert wäre. Doch nur allmählich gelänge sie zu einer Art Bewusstsein, das ihr gefiele, umso mehr, als dass sie glauben würde, sie dürfe picknicken: Vor ihr läge ein Paket, in dem sich Brot, Wasser, Kerzen, Streichhölzer, ein Kugelschreiber und ein Schreibblock befänden. Ellen Weyer würde bemerken, dass sie hungrig wäre, und euphorisch in die Baguettestange beißen. Die Anwesenheit des leblosen Mannes würde sie ein wenig verwirren, aber nicht sonderlich stören. Sie würde nicht begreifen, weshalb sie hier festsaß. Dass sie zu weit gegangen war, mit dem Feuer gespielt und sich verbrannt hatte, vor allem aber: dass es keine Garantie gab, lebend aus dieser Gruft wieder herauszukommen.
    Doch noch schlief sie. Sie spürte nicht, wie ihr kleine Insekten über das Gesicht liefen, wie die Luke geöffnet wurde und sich ein Gesicht vor die Öffnung schob, das sie gut kannte.
    „Du willst hinter seinem Rücken die Patienten befragen?“ Timo Heiser hatte seine Kollegin entgeistert angesehen, als sie vom Flughafen zurückgekommen war.
    „Ich will mir am Ende nicht nachsagen lassen, ich hätte meine Arbeit nur halb gemacht. Bloß weil Honey sich auf den Ehemann eingeschossen hat, heißt das noch lange nicht, dass er es war.“ Erich Werle hätte es sicher nicht gefallen, dass seine Mitarbeiter ihn nannten, wie Udo Lindenberg einst den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker besungen hatte. „Außerdem sollen wir die Gummistiefel finden. Dazu müssen wir sowieso mit den Leuten sprechen. Irgendwo müssen wir ja anfangen. Oder hast du eine bessere Idee?“
    „Und das muss heute sein? Am Samstag?“
    „Wir haben sowieso schon zu viel Zeit verplempert. Die Patienten reisen ab, die Angestellten gehen ins Wochenende – womöglich ist unser Täter schon über alle Berge und wir haben ihn nicht einmal von hinten gesehen.“
    „Also gut, ich bin dabei.“
    Eine Stunde später saßen Eberstätter und Heiser im Speisesaal an einem Tisch und gingen mit Schwester Agathe die Patientenlisten durch.
    „Wie lange war Angela Esser eigentlich hier?“, fragte Sylvia Eberstätter, obwohl sie die Antwort darauf kannte.
    „Ziemlich lange. Fast zwei Monate.“
    „Ist das üblich?“
    „Nun ja. Die Krankenkasse bezahlt drei Wochen, plus maximal zwei Wochen Verlängerung. Bei Privatpatienten wie Frau Esser ist das natürlich etwas anderes. Sie bleiben eben so lange, wie die Ärzte es für richtig halten.“
    „Je länger ein Privatpatient bleibt, umso besser für die Klinik, richtig?“
    Schwester Agathe verzog keine Miene. „Die Klinik steht wirtschaftlich gut da, wir haben eher das Problem, dass unsere Patienten länger bleiben möchten, als uns manchmal lieb ist. Die Warteliste akuter Fälle ist lang.“
    „Wie lang?“
    „Mitunter dauert die Aufnahme Monate.“
    „Für Kassenpatienten.“
    „Für Privatpatienten ein paar Wochen weniger, aber selbst wenn jemand aus eigener Tasche zahlt – sofort

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