Sterben War Gestern
sich. Zu Sylvia Eberstätter gewandt fügte er noch hinzu: „Wir arbeiten weiter. Sobald es neue Ergebnisse gibt, schicke ich Ihnen eine Mail.“
Wenn Werle könnte, würde er den ganzen Internetquatsch verbieten. Er hatte die Hälfte der Multimediafortbildung vor zwei Jahren in Begleitung im Hotelzimmer verbracht und beschlossen, dass er Profi genug war, um auch ohne virtuelle Hilfe gute Arbeit zu machen. Es reichte, wenn seine Assistenten sich damit auskannten. Allerdings gefiel es ihm überhaupt nicht, wenn dadurch Informationen an ihm vorbeigingen.
„Neue Ergebnisse möchte ich bitte als Erster sehen, Frau Eberstätter“, sagte er. Unfreundlich genug, damit sie merkte, wie enttäuscht er von ihr war.
„Klar, Chef“, gab sie ihm unbeeindruckt zur Antwort. „Wir müssen jetzt aber unbedingt los, sonst verpassen Sie Ihren Flieger.“
„Also, wenn ich das richtig verstanden habe, dürfen wir heute Nacht noch schlafen, aber den ganzen Sonntag tagsüber und nachts nicht. Richtig?“
„Richtig.“
„Um dann am Montagmorgen todmüde drei Stunden zu tanzen und ohne Schlaf bis abends durchzuhalten. Korrekt?“
„Korrekt.“
„Dann fallen wir ins Bett, schlafen wie die Murmeltiere und wenn wir Dienstagmorgen aufwachen, sind wir umprogrammiert und unsere Schlafstörungen ein alter Hut.“
„In etwa.“
Ewald Klee runzelte skeptisch die Stirn. „Glaubst du das?“
„Das ist doch unrelevant. Fest steht, dass es nicht wirklich etwas Neues ist, außer, dass ich in der Regel nach einer schlaflosen Nacht arbeiten gehe und nicht in die Disko.“
Er nickte. „Bei mir ist es ähnlich. Die Gruppentherapie war ein bisschen so wie meine Meetings. Bloß, dass dabei keiner heult und die Teilnehmer sich nicht selbst die Schuld an Problemen geben, sondern immer einen Sündenbock parat haben. Und die Kleiderordnung ist strenger.“
Inge reagierte nicht auf seine Bemerkung, sondern schaute aufs Meer. Sie saßen auf einer großen karierten Decke, die Ewald ausgebreitet hatte. Daneben hatte er die Camping-Espressomaschine aufgebaut. Er holte zwei kleine Porzellantassen aus seinem Rucksack, stellte sie auf die dazugehörigen Unterteller und legte jeweils ein Zuckertütchen daneben. „Mist, ich hab die Löffel vergessen.“
„Hast du das alles von zu Hause mitgebracht?“, fragte Inge halb bewundernd, halb ungläubig.
„Nö. Drin gefunden.“ Offenbar hatte er das Unterteil der Metallkanne bereits mit Espresso und Wasser befüllt, denn nun entzündete er mit einem Streichholz die Gasflamme und vergewisserte sich, dass der Untersatz sicher im Sand stand. Dann stellte er die Kanne darauf und rieb sich die Hände. „So, jetzt müssen wir nur noch warten, bis es blubbert.“
Er setzte sich in gebührendem Abstand neben Inge und folgte ihrem Blick zu einer kleinen gelben Eisenkonstruktion, die etwa einen Kilometer vor ihnen aus dem Wasser ragte.
„Ist keine Bohrinsel“, stellte Ewald ungefragt fest.
„Also, dass sie gegenüber von Rostock keine knappen Rohstoffe aus dem Meer pumpen, habe ich mir fast gedacht. Was ist es denn dann?“
„Eine Forschungsplattform. Und darunter ist ein künstliches Riff. Da sollen Fische zum Laichen angeregt werden.“
„Soso.“ Inge belustigte dieser Besserwisser. „Und woher weißt du das schon wieder?“
„Es gibt ein Informationsbüro dazu, nicht weit von hier. Da bin ich heute Morgen vorbeigejoggt.“
„Vor dem Frühstück?“
„Lange davor.“
Es war kein feiner Sandstrand, der diese Küste säumte. Grobkörnig und mit großen Kieseln durchzogen, wirkte er rau und ein wenig unwirtlich, beinah so, als wollte er partout nicht als Badehandtuchunterlage dienen. Inge nahm einige kleine Steine in die Hand und rieb sie aneinander, bis ihr das knirschende Geräusch Gänsehaut verursachte.
„Ich mache mir Sorgen“, sagte sie plötzlich.
„Wegen?“
„Ellen.“ Sie warf einen der Steine in Richtung Meer, erreichte aber das Wasser nicht. „Wahrscheinlich ist es totaler Blödsinn, aber ich finde es absolut eigenartig, dass sie ihr Handy nicht mehr eingeschaltet hat, seit sie hier weggefahren ist.“
„Woher weißt du das?“
„Wir sind beide beim gleichen Mobilfunkanbieter. Wenn ich sie nicht erreiche, erhalte ich eine Nachricht, sobald sie wieder erreichbar ist. Wenn das nicht der Fall ist, bedeutet es: Ihr Handy ist aus.“ Sie warf einen weiteren Stein, nur unwesentlich weiter als den ersten. „Erklär mir, wieso eine junge Frau, die drei Wochen im Krankenhaus
Weitere Kostenlose Bücher