Sterben War Gestern
Zettel in ihrem Fach vorgefunden, dass diejenigen, die das am Vortag noch nicht getan hätten, sich für eine polizeiliche Befragung bereithalten sollten. Timo, das Organisationstalent, hatte jedem, der sich dazu im Foyer eingefunden hatte, einen Zettel mit einer Uhrzeit in die Hand gedrückt und so standen die Patienten Schlange, um ihnen im Zehn-Minuten-Takt zu sagen, was Sie über Angela Esser wussten. Beziehungsweise nicht wussten.
Die Bitte des Oberkommissars, ob er sich auch ihre übrigen Schuhe ansehen dürfe – „es würde uns sehr helfen, um die vielen Spuren richtig einordnen zu können“ –, wagte niemand abzulehnen und alle nannten ihm bereitwillig ihren Namen, ihre Zimmernummer und ihre Schuhgröße.
Skandalös, dachte Inge Nowak. Als sie schließlich vor der Oberkommissarin aus Rostock saß, konnte sie nicht umhin zu sagen: „Sie wissen schon, dass dieses Vorgehen der Spurensicherung etwas grenzwertig ist?“
„Wie meinen Sie das?“
„Das hier ist ein Krankenhaus, die meisten Patienten leiden unter psychischen Störungen, nicht wenige nehmen entsprechende Medikamente. Die Einwilligung, Einblick in ihre Zimmer und persönlichen Sachen zu geben, erscheint mir durchaus fragwürdig. Ich an Ihrer Stelle wäre etwas vorsichtiger. Aber ich“, schloss sie müde lächelnd, „bin auch im Falle eines Falles die Leiterin einer Mordkommission in Berlin.“
„Sie sind eine Kollegin?“ Das klang mehr als überrascht.
„Finden Sie das so erstaunlich?“
Die Oberkommissarin hielt einen Moment inne und antwortete ehrlich: „Nein, eigentlich nicht. Bei unserem Beruf müssten wir turnusmäßig alle hier landen.“
Bevor sie zur formellen Befragung überleiten konnte, nahm Inge Nowak ihr die Arbeit ab: „Ich kannte das Opfer, aber nicht gut. Ich bin am Donnerstagmittag angekommen. Rein theoretisch könnte ich als Täterin in Frage kommen, denn nachdem ich einmal mit Angela Esser zu Mittag und einmal mit ihr zu Abend gegessen hatte, war sie tot. Aber ich war es nicht. Ich habe nichts gesehen und nichts gehört, bin am Donnerstagabend früh ins Bett gegangen und erst von den Sirenen der Feuerwehr wieder erwacht.“
Bereitwillig teilte Inge Nowak nach einem kurzen Gespräch mit Sylvia Eberstätter, in dem sie sich auch nach dem Namen ihres Vorgesetzten erkundigte, ihre Zimmernummer mit und erklärte sich grundsätzlich zur Schuhschau bereit. In den Safe würden sie ohne Durchsuchungsbefehl glücklicherweise nicht schauen dürfen.
Die Berliner Hauptkommissarin verabschiedete sich freundlich von ihrer Rostocker Kollegin mit den besten Wünschen. Von Ellen Weyer und ihrem unguten Gefühl erwähnte sie nichts.
Der Himmel über Deutschland war blau und Erich Werle hatte vor der Landung in München die Alpen bewundern können. Der Kriminalhauptkommissar liebte Städtereisen und insbesondere schätzte er das Prostitutionsangebot, das er als Ortsfremder in geschützter Umgebung beruhigt in Anspruch nehmen konnte. Als überzeugter Single, der niemals länger als einige Wochen am Stück fest liiert gewesen war und der diesen Umstand auch in keinster Weise bedauerte, frönte Erich Werle dem Hobby des Freiens. Sex war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, und je professioneller seine Partnerin, umso besser. Er mochte es gerne ein wenig härter, und er wusste aus Erfahrung: In den heiligen und nicht ganz billigen Hallen des anspruchsvollen Eros-Clubs in München würde er bei der Suche nach einer versierten Domina fündig werden. Sie führte ihn für die gewünschte Zeit in ihre Räumlichkeiten und kümmerte sich um ihn, solange er für ihre Dienste bezahlte. Nein, sie würden dabei keinen Champagner trinken, so dekadent war er nicht, aber er ließe sich die ganze Sache etwas kosten, zweimal im Jahr gönnte er sich diese Art von Sex-Tourismus in größerem Stil.
„Herr Werle?“
Er schaute sich irritiert um, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn eine Frau abholen würde.
„Helene Teuber, ich leite das Team, das die Wohnung durchsuchen wird. Hauptkommissar Aydin lässt sich entschuldigen, er musste kurzfristig einen Kollegen vertreten.“
Sie war mindestens in seinem Alter. Ihre Stimme war umwerfend, ihre streng nach hinten gekämmten Haare glänzten gefährlich schwarz, ihr markantes Gesicht mit dem herben Zug um den Mund prägte sich ihm sofort ein, und die spitzen Stiefel unter einer eng geschnittenen Jeans taten das Übrige zu ihrem rasanten Auftritt.
Während der zwanzigminütigen Autofahrt zum
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