Sterben War Gestern
Beamten über den Rasen gelaufen.
„Sicher der Ehemann“, stellte Inge Nowak fest.
„Soll ich ihn jetzt vernehmen?“
Die Hauptkommissarin bemerkte, wie nervös Sylvia Eberstätter war. „Ja. Lassen Sie sich genau beschreiben, wie er sie wann gefunden hat und wie er es angestellt hat, seine Tochter rauszuhalten. Er war es bestimmt nicht, aber er könnte den Auftrag gegeben haben, es zu tun. Fragen Sie ihn nach seiner Schwägerin und nach dem Verhältnis seiner Frau zu ihrer Schwester. Achten Sie darauf, wie er über Ellen Weyer spricht. Wann hat er sie zuletzt gesehen oder gehört?“ Sie hielt inne. „Aber das wissen Sie doch alles selbst, entschuldigen Sie bitte.“
„Schon, aber ich habe noch nicht so viele Erstvernehmungen am Tatort durchgeführt. Das ist bei uns Chefsache. Ich schreibe es meistens nur auf.“
Inge überlegte einen Moment. „Dann machen wir das heute andersherum. Und danach verschwinde ich wieder von der Bildfläche.“
Sylvia Eberstätter sah sie überrascht an.
„Am besten draußen, auf der Terrasse. Haben Sie was zu schreiben dabei?“
„Nur mein Notepad.“
„Fortschrittlich. Damit kann ich umgehen.“
Sie musste ihre Kollegin förmlich vor sich herschieben. Die ganze Sache nahm sie offenbar mehr mit, als Inge Nowak vermutet hätte.
Tief und fest hatte Erich Werle geschlafen, die späte Morgensonne hatte ihn an der Nase gekitzelt und nun lag er wach neben ihr und betrachtete sie. Was er fühlte, war so unbeschreiblich, dass er dafür keine anderen Worte fand als die, die er nicht einmal denken wollte. Und doch hätte er es ihr am liebsten ins Ohr geflüstert, einmal, zweimal, dreimal, immer wieder, so lange, bis sie ihm geantwortet hätte: Ich dich auch. Sein Verstand sagte ihm, dass es vollkommen unmöglich war, dass es Liebe auf den ersten Blick nicht geben konnte und schon gar nicht in seinem Alter. Erich Werle war gerade vierundfünfzig geworden und in seinem ganzen Leben war ihm so etwas nicht annähernd passiert. Niemals hatte er die Kontrolle verloren, bei aller Lust war er doch immer gelassen geblieben und hatte unterscheiden können zwischen dem Film im Kopf und der Wirklichkeit. Die bei Tageslicht und ungeschminkt meist ernüchternd war. Bei Helene Teuber war das anders. Sie war für ihn von einzigartiger Schönheit, er wurde nicht müde, mit den Augen zärtlich über ihr schlafendes Gesicht zu streifen, über den leicht geöffneten Mund mit den trockenen Lippen, über die geschlossenen Lider, unter denen letzte Spuren eines Kajalstrichs blaue Schatten warfen, und über die hohe Stirn, in die ihr jetzt dunkle Strähnen fielen. Ihre Haut war nicht glatt, sie war um die Nase herum großporiger als am Kinn, und die Wangen zeigten hier und da tiefere Furchen.
Du bist, dachte er, wunderbar gezeichnet.
Wovon – das konnte er nur ahnen oder sich zusammenreimen aus ihren Erzählungen, denen er bis in die Morgenstunden hinein gelauscht hatte.
„Und du?“, hatte sie ihn irgendwann gefragt. „Woher kommen deine Falten?“
Und er hatte von Köln erzählt. Wie ihm die Umstrukturierungen zugesetzt hatten, wie wenig er zurecht gekommen war mit den jüngeren Kollegen, mit denen er plötzlich im Team arbeiten sollte. Transparenz und Kompetenz waren die Devise, und all seine Ermittlungsmethoden waren plötzlich veraltet und wertlos. Wie er die Meetings gehasst hatte und die Profiler, die ihm den Charakter eines Täters erklären wollten, noch bevor sie die Tat verstanden hatten. Und wie man ihm die Leitung der Mordkommission entzogen hatte, weil er angeblich nicht delegieren konnte.
Erich Werle sprach zum ersten Mal darüber und er tat es ruhig und sachlich. Längst wusste er, dass er auch an seiner eigenen Sturheit gescheitert war, aber bis zu dem Moment, in dem er Helene Teuber gegenübersaß, hatte er das nicht einmal vor sich selbst zugeben können.
„Das hört sich einfach nur schrecklich an“, hatte sie gesagt.
„Das war es auch. Einfach nur schrecklich. Ich war von heute auf morgen ein Loser. Jedenfalls dachte ich das. Wahrscheinlich war ich zu dem Zeitpunkt auch ein Scheiß-Chef.“ Er dachte nach. „Bin ich vielleicht immer noch. Ich bin eben ein Einzelkämpfer. Vielleicht sollte ich den Job einfach an den Nagel hängen und Detektiv werden.“
„Oder dir einen Ruck geben und die anderen mitspielen lassen?“, fragte sie.
„Das versuche ich ja. Und mein Rostocker Team ist auch okay. Sylvia Eberstätter ist eine wirklich gute Kommissarin und schmeißt
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