Sterben War Gestern
nicht wieder davon anfing.
„Glaubst du, ich will meinem Kind eine Großmutter sein?“
Abgesehen von der Altersfrage war sie davon überzeugt, dass es ihm, Ewald, viel besser ginge, wenn er eine, wie sie meinte, echte Aufgabe hätte.
Er sah das anders: „Ich komme schon mit meinem eigenen Leben nicht klar. Wie soll ich ein guter Vater sein?“
„Es würde vielleicht reichen, wenn du überhaupt einer sein wolltest.“
Genau hier lag das Problem, und in all den Gesprächen, die meistens in Streitereien endeten, hatte er nie gewagt, einfach die Wahrheit zu sagen, weil er fürchtete, Grit würde ihn danach sofort verlassen: Er mochte keine Kinder.
Keine Kinder zu mögen war in seinen Kreisen ein absolutes No Go . Alle Kollegen und Freunde hatten mindestens eine Tochter oder einen Sohn, Tendenz steigend. Glücklich war, wer zeugte, wenigstens vier Wochen Vaterschaftsurlaub nahm, Windeln wechseln konnte und sich nicht zu schade war, einen Teil des von Chauffeurtätigkeiten, Waschen, Einkaufen, Kochen und Aufräumen bestimmten Haushalts zu übernehmen. Ewald Klee hatte derlei Ambitionen nicht. Kinder waren ihm suspekt, er wusste nicht mit ihnen umzugehen, und er bezweifelte, dass sich das grundsätzliche Unbehagen gegenüber kleinen Mädchen und Jungs legen würde, bloß weil er ihr Erzeuger wäre. Es handelte sich nämlich um ein ganz grundsätzliches Unvermögen, sich auf Unkontrolliertes und Gefühlsbetontes einzulassen, er kam einfach nicht mit einem Gegenüber klar, das er nicht einschätzen konnte. Und Kinder hielt er für gänzlich unberechenbar. Der Gedanke, sein Leben mit kleinen emotionalen Zeitbomben zu verbringen, die er nicht würde entschärfen können, missfiel ihm, und in aufrichtigen Momenten wusste er, dass diese Tatsache im Grunde das Ende der Beziehung mit Grit schon besiegelt hatte. Doch noch versuchte er dieser Wahrheit so gut es ging auszuweichen und sich zwei gleichsam unrealistische Möglichkeiten einzureden: Entweder gäbe er Grit gegenüber nach, um sie nicht zu verlieren, oder Grit gäbe aus Liebe zu ihm ihren Kinderwunsch auf.
Wenn sie mich verlässt, dachte er plötzlich, nehme ich mir eine Auszeit und fahre mit dem Motorrad durch Patagonien.
Oder lerne einen anderen Beruf.
Oder mache eine Zeit lang gar nichts.
Frei sein. Tun und lassen, was ich mag, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Alleine sein, ohne mich für die Freude an der Einsamkeit zu schämen. Fünfmal die Woche essen gehen und immer das Gleiche bestellen. Laufen gehen, wann und so viel ich will, und danach ungeduscht frühstücken. Hier musste Ewald Klee lächeln, denn genau das hatte er an diesem Morgen mit Inge getan. Und sich großartig dabei gefühlt. Überhaupt tat ihm die Gesellschaft dieser Kommissarin gut. Seit sie ihm drei Tage zuvor praktisch in die Arme gefallen war, fühlte sich sein Leben nicht an, als wäre er im Krankenhaus angekommen, sondern mitten in einem Abenteuerfilm. Vorgestern hatten sie noch mit zwei Frauen an einem Tisch gesessen, von denen heute die eine tot und die andere verschwunden war. Wie war das möglich? Ellen konnte doch nicht einfach vom Erdboden verschluckt worden sein. Und schon gar nicht mit einem grasgrünen VW-Polo. Warum suchten sie nicht nach ihrem Wagen? Aber wo? Wenn sie auf der Flucht vor etwas sein sollte, wäre sie längst über alle Grenzen hinweg. Was aber, wenn sie gar nicht so weit gekommen war? Wenn sie tatsächlich nach Hause gewollt hatte und ihr auf dem Weg dorthin etwas zugestoßen war? Dann musste das Auto irgendwo zwischen der Klinik und Rostock sein. Mit oder ohne Ellen. Sein Herz schlug schneller. Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass die junge Frau ernsthaft in Gefahr sein könnte und dass er in den Live-Ticker eines echten Verbrechens hineingeraten war. Bisher hatte er das Ganze als Spiel betrachtet, nun aber wurden ihm die Knie flau und er musste stehen bleiben, um seinen beschleunigten Atem zu beruhigen.
Es war ein sonniger Sonntag im April, der Tag versprach warm zu werden und Ewald sorgte sich seit langer Zeit wieder ernsthaft um einen anderen Menschen. Schnell machte er auf dem Absatz kehrt und ging zügigen Schrittes in die Richtung, aus der er gekommen war. Auch wenn Inge ihn für verrückt erklärte – er würde nach dem grünen Polo suchen.
Die beiden Kommissarinnen standen an Sylvia Eberstätters Wagen gelehnt. Klaus Kronberg hatten sie mit der Bitte entlassen, sich am nächsten Tag im Polizeipräsidium einzufinden, dann mit seiner
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