Sterbendes Land Utopia
Pe’Ichen, wie nur du ein Messer schaffen kannst …«
Waley kam der Gedanke, daß sich Pe’Ichen sicher über die Art amüsierte, in der manche Leute ihre Bitten vorbrachten. Dieser Mann glaubte offenbar, daß er so bescheiden wie möglich bitten mußte. Die kräftige Stimme bat immer wieder um ein Messer.
Das Unvermeidliche geschah. Ein grüner Blitz tauchte zwischen den Lampenpunkten auf, ein spitzer Ast stieß zu. Man hörte ein Jammern und Stöhnen. Von einem Messer war nichts zu sehen.
»Halte den Mund, Krotch. Pe’Ichen wird dir seine Gunst nicht gewähren.«
»Du erbsengrüner Knilch, du Karikatur, du …« Die tiefe Stimme beschimpfte den Grünen. »Du Sohn einer Schlammratte, ich werde deine Nachfahren bis zum siebenten Glied verfolgen …«
Ein Schlag und ein weiterer Fluch. Waley hörte nicht mehr auf die Worte. Ihm war ein Gedanke gekommen. Krotch schien ein Mann zu sein, der sich hier auskannte. Und wenn er zu fliehen versuchte, dann hieß das, daß eine Flucht vor den Zauberern durchaus nicht unmöglich war. Waleys Gedanken überschlugen sich. Vielleicht, so dachte er, vielleicht hatte der arme Jack Waley doch noch einmal Glück.
Waley wußte nicht, wie genau ein Scheinbild sein mußte. Er biß die Zähne zusammen und riß sich mit äußerster Anstrengung ein Haar aus. Dann biß er immer wieder hinein, bis winzige Eindrücke entstanden, die grob gesehen vielleicht als Sägezähne erkannt werden konnten.
»Schnell, Pe’Ichen«, dachte er. »Beeil dich und gib mir eine Säge, mit der ich das Gitter durchschneiden kann. Und mach die Zähne nicht zu groß, damit der Lärm nicht auffällt.«
Die Säge – eiskalt wie immer – erschien. Er besah sich die Zähne. Sie waren gut für seinen Zweck geeignet. Er begann an der Stange, die ihm am nächsten war. Holz und Seile gaben allmählich nach. Er arbeitete vorsichtig und hielt immer wieder inne, um zu horchen. Nach einer halben Stunde hatte er alle bis auf eine Verschnürung gelöst. Die letzte Schlinge war so in seinem Rücken geknüpft, daß er sie einfach nicht erreichen konnte. Er drehte sich hin und her, doch er rieb sich nur die Haut auf. Wenn er sich mit dem Käfig umfallen ließ, entstand zuviel Lärm. Er bezweifelte, daß er schon fit genug war, um bei einer Verfolgungsjagd zu siegen. Nein, er mußte verschwunden sein, bevor sie den Verlust bemerkten. Selbst dann wußte er nicht, wie weit er gehen mußte, um gegen ihr Wispern immun zu sein.
Er sank keuchend zurück und sah geradewegs in das eine Auge der Alten. Sie grinste ihn mit ihrem einzigen Zahn an.
»Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, Kerl, aber gib mir die Säge, dann säge ich den letzten Stab durch.«
Waley bemerkte, daß auch Krotch ihn mit den Augen eines Verdurstenden beobachtete, der ein Glas Wasser entdeckt hatte.
»Schön. Hier hast du sie.« Er schob die Säge durch den engen Spalt.
»Tsts«, machte die Alte und begann fröhlich ihre eigenen Stäbe durchzusägen.
»He!« flüsterte Waley scharf. »Du sagtest, du wolltest meinen Stab durchsägen.«
»Alles der Reihe nach, Junge, alles der Reihe nach. Und mach deinen stinkenden Mund nicht so weit auf. Wir wollen doch nicht, daß die erbsengrünen Lieblinge herkommen und uns anglotzen …«
So eine Ungerechtigkeit! Waley schäumte. Dann riß er sich ein zweites Haar aus, biß darauf herum und ermunterte Pe’Ichen zu schneller Arbeit.
»Ich kann das nicht glauben, Fremder«, sagte Krotch leise.
Die weißen Narben auf seiner Haut glänzten im Licht. Seine Muskeln machten die Bewegung mit, mit der Waley an die verflixte letzte Schlinge heranzukommen versuchte.
»Wenn du zuviel Lärm machst, ist es um dich geschehen«, murmelte Krotch. »Diese speigrünen Schmutzfinken werden es nicht zulassen, daß gleich zwei Opfer in einer Nacht entfliehen.«
Waley wandte sich an die Frau: »Hör zu, du einäugige, zahnlose Karikatur einer Dame! Gib jetzt Krotch die Säge, die ich dir herüberreiche. Keine Tricks, sonst reiße ich dir jedes einzelne deiner gefärbten Haare heraus, wenn ich frei bin.«
Sie begann sich zu ereifern und zu keifen, aber sie merkte schnell, daß das keinen Sinn hatte. So nahm sie die Säge und reichte sie Krotch. Und nach kurzer Zeit sägten sie alle drei und verrenkten sich dabei die Glieder. Zwischendurch hielten sie immer wieder ein und horchten.
Mit einem lauten Schnappen, das sie zusammenfahren ließ, durchsägte Krotch seine letzte Schlinge. Er ließ das Gitter vorsichtig zu Boden
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