Sterbendes Land Utopia
Idioten gesagt …«, begann Salome, aber Krotch knuffte sie und hustete und lächelte Dolly strahlend an, wobei er sich vor Salome stellte.
Dolly erwiderte das Lachen.
»Tanzen kann das Mädchen«, sagte sie trocken. »Aber sie muß sich irgend etwas in die leere Augenhöhle stecken – das sieht ja abstoßend aus. Und ein Gebiß braucht sie auch …«
»Äh – natürlich, Dolly.« Krotch war sehr bescheiden geworden.
Dolly winkte einem der Köche, und er wischte sich die Mehlhände an der Schürze ab und ging zu den Weinschläuchen hinüber. Das freundliche Brodeln von Suppen und Soßen drang vielversprechend zu ihnen herüber.
Über einem süßen, würzigen Wein diskutierten Dolly und Krotch wegen der Bezahlung. Waley hörte zu und machte sich seine Gedanken. Grünbälge? Vielleicht war das die Währung. Aber Grünbälge – irgendwie klang das vertraut.
Der Wein weckte wohlige, sanfte Gedanken in Waley. Das Leben aller Welten verlief parallel. So wie sich überall die ersten Moleküle aus Protein und Nukleinsäure entwickelt hatten, gab es überall Tänze, Wein und Liebe, Leben und Tod, das Verlangen nach einem Platz, wo man sein müdes Haupt betten konnte.
Egal, wie sehr die Leute von Kerim unter ihrem Los litten, der Drang, ausgelassen und hemmungslos zu tanzen, ließ sich nicht unterdrücken.
»Hallo«, sagte Dolly und füllte von neuem ihr Glas. »Komm mal her, Mädchen. Ich muß deine Augenfarbe sehen.«
Gehorsam kam Salome näher, und Dolly sah sich ihr gesundes Auge an.
»Blau«, sagte Dolly, als habe sie soeben eine entscheidende Entdeckung gemacht. »Also müssen wir es blau anmalen.« Und dann stutzte sie. »Hör mal, Krotch, bei allem, was recht ist, du Halunke! Deine Tänzerin ist ja alt!«
»Nicht älter als du, du dickbäuchige, schwabbelige alte …«, begann Salome in ihrem gewohnten Stil.
Krotch zog ihr den Umhang vor den Mund. »Hör nicht auf ihr bissiges Mundwerk, Dolly, meine Taurose. Sie ist vielleicht nicht mehr in der Blüte ihrer Jugend, aber tanzen kann sie. Das hast du selbst gesehen …«
Dollys Augen hatten wütend aufgeblitzt, als Salome zu keifen begann, aber nun sah sie Krotch an, und ihr Gesicht wurde weich. Sie stupste ihn in den Bizeps. »Ich sollte dich in einen Käfig sperren und zu den Treträdern bringen, damit du die Grünbälge abverdienst, um die du mich bemogelt hast. Du bist ein verflixter Gauner, aber …«
Krotch ließ Salome los und schob sie weg. Dann beugte er sich über Dolly und küßte sie. »Du bist ein braves Mädchen«, sagte er, und man sah ihm an, daß er es ernst meinte.
Waley fand es unpassend, Krotch jetzt daran zu erinnern, daß sie auf eine Galeere wollten.
In diesem Augenblick drang ein Klirren und Dröhnen von draußen herein. Es klang drohend und gefährlich. Die Pfannen zitterten, die Weingläser begannen zu schwanken.
Waley fuhr zusammen. »Was …?«
Die anderen regten sich überhaupt nicht auf.
»Das ist zumindest fünf Häuserblocks entfernt«, sagte Dolly und hielt ihr Glas fest. »Mein Haus hält noch mindestens hundert Jahre.« Sie lachte bitter. »Obwohl dann natürlich keiner mehr zu Dolly kommen wird, um seine Sorgen abzuladen und einen Schluck Wein zu trinken.« Langsam rollte eine Träne über ihre dicke Wange.
Krotch legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie tröstend an sich.
»Trink aus!« rief er und schwenkte sein Glas. »Alles fällt zusammen – aber was macht es uns schon? Wir haben zu essen und zu trinken und können fröhlich sein.« Die beiden Köche stellten ihre Pfannen ab und tranken ebenfalls einen Schluck.
Dann wandte der ältere der beiden sein hitzegerötetes Gesicht Dolly zu. »Wir brauchen noch Gewürze und Kräuter, Dolly. Es hat lange gedauert, bis das Fleisch in die Stadt kam.«
Knurrend holte Dolly aus ihrem Sarong eine seidene Börse mit Goldverschluß. Sie zog ein paar kleine Scheibchen heraus. Waley beugte sich über das Geld. Sie ließ die Börse zuschnappen.
»Paß auf deine Nase auf, Kleiner. Ich möchte sie nicht einzwicken.«
»Darf ich, Prinzessin?« sagte Waley lächelnd und streckte die Hand aus. »Ich möchte mir eines der Dinger ansehen.«
Sie kicherte. »Du bist ebenso schlimm wie Krotch. Hier …«
Es war eine kleine, aus Leder gestanzte Scheibe. Man sah keinerlei Wertsymbole. Aber Waley war klar, daß es sich um Geld handeln mußte. Er drehte das Plättchen in den Fingern herum. Die Farbe des Leders war dunkelgrün, und das Material wirkte fest, aber geschmeidig.
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