Sterbendes Land Utopia
den Meilenstein hinauswagt«, sagte Jarfon von Trewes mit leiser Befriedigung.
Der erste Predakker glitt in die Tiefe.
Der Wachsergeant gab den Schießbefehl mit so lauter Stimme, daß es bis zu ihnen heraufklang. Sieben Finger drückten auf den Abzugshahn. Siebenmal klickte es. Sieben Pfeile jagten in den Himmel.
Irgendwo draußen in den sauberen kleinen Feldern, die zwischen dem Meilenstein und der Palastmauer lagen, bohrten sich sieben Pfeile in die fette, braune Ackererde, wo sie vielleicht nach Monaten brummend ein Gärtner ausgraben würde.
»Zu kurz!« stöhnte Kerith.
»Nur eine Geste.« Jarfon von Trewes spürte, wie seine Finger zitterten. Er hätte am liebsten selbst eine Armbrust gespannt und den Bolzen abgedrückt. Aber aus dieser Entfernung konnte man mit dem besten Geschütz von Brianon das Tier nicht treffen.
»Überhaupt keine Schutzmöglichkeit …« Kerith sprach mit Selbstverachtung. »Jarfon, wir müssen dafür sorgen, daß entlang der Straße Schutzvorrichtungen gebaut werden.
Die Predakker werden mit jedem Jahr frecher und waghalsiger. Ich fürchte, bei diesem Angriff bleibt es nicht …«
»Seht!«
Der Predakker hatte sein Gleiten aufgegeben und stieß schräg nach unten. Sein Maul war weit aufgerissen. Der Bote riß den Arm hoch und versuchte sich zu schützen. Er wollte unter den Bauch des Reittieres kriechen. Aber die Fänge und Klauen ließen ihn nicht los.
Kerith wandte sich ab.
Auf ihren Wangen waren Tränen.
»Er hat es nicht geschafft«, sagte Jarfon mit farbloser Stimme.
»Verschwendung«, sagte Kerith. Sie haßte sich, haßte das grausame Los, das ihr Land erlitt, und haßte die Predakker. »Armer Kerl …«
Das Pferd jagte allein weiter. Es wurde von panischer Angst angetrieben.
Eine Schwarze, in ein einfaches, grünes Gewand gekleidet, betrat den Mohnblumen-Salon. Das Gesicht mit den runden, flachen Zügen und der glatten Haut zeigte Erregung und Mitleid.
»Mylady, kommt weg von hier – ich habe Euch etwas Warmes zur Stärkung zurechtgemacht …«
Kerith drehte sich um und legte die schlanke Hand auf den ausgestreckten Arm der anderen Frau.
»Rowena – liebe Rowena. Ja, vielen Dank.«
Jarfon von Trewes setzte den Feldstecher ab. Er nickte Rowena zu. »Danke, Rowena. Die Prinzessin hat sich sehr aufgeregt. Ich werde die Delegation der Grenzer in Empfang nehmen und alles erklären. Eure Herrin muß ruhen. Sagt mir Bescheid, wenn sie sich wieder ganz erholt hat.«
»Danke, Sir. Das wird das beste sein. Sie werden es sicher verstehen.«
Als Prinzessin Kerith am Arm ihrer alten Amme den Mohnblumen-Salon verließ, strich sich Jarfon von Trewes über den Bart. Die Grenzer würden es verstehen. Sie mußten es einfach verstehen.
Ganz Brianon verehrte und liebte Prinzessin Kerith. Ja, die Grenzer würden es verstehen.
Aber wer konnte das Los verstehen, das über Brianon hereingebrochen war? Wer in aller Welt konnte das verstehen?
2
Raumschiffe sind nicht der richtige Ort, um Intrigen zu spinnen – vor allem, wenn die Intrigen aufgedeckt werden.
»Mein Gott!« stöhnte Jack Waley.
Er kauerte in der dunkelsten Ecke des am weitesten entfernten Laderaums, hatte die Knie bis ans Kinn gezogen und wartete darauf, daß ihn der Erste Ingenieur mit seinem furchterregenden Schraubenschlüssel entdeckte.
Es war alles so leicht erschienen. Maisie d’Angelo – das Mädchen mit dem süßen Gesicht und der gefährlich guten Figur, das von einer schrecklichen Tante begleitet wurde – hatte eines Abends beim Deckspaziergang eine Schnute gezogen, geseufzt und ihn am Arm festgehalten. »Ach, Jack«, hatte sie unschuldig gesagt, »da sitze ich nun mit meiner dämlichen alten Tante am Tisch des Dritten Offiziers und langweile mich. An den Tisch des Kapitäns hätte man mich setzen müssen.«
»Natürlich«, hatte Jack gesagt, die Hand leicht um ihre Taille geschlungen, und in Gedanken bereits beim nächsten kühnen Vorstoß. »Für dich ist nichts zu gut, meine kleine Sternblume.«
»Ach, Jack …«
Er erwähnte nicht, daß man ihn an den Tisch des Vierten Zahlmeisters gesetzt hatte. Das hätte kleinlich und nach Kritik geklungen. Und Jack Waley hatte das Mädchen noch nicht so sicher.
»Ich meine, diese blöde, rothaarige Hexe – äh, diese Diana Darkster – sitzt wie eine Königin am Kapitänstisch. Und dazu diese alte Vettel von der Venus. Während ich mich mit dem dritten Offizier langweile.« Sie bewegte den Ellbogen leicht, so daß er den Arm fester um ihre
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