Sterbensschön: Thriller -
Zigarette aus dem Fenster. Sie war bei der ersten Kippe des Tages und der zweiten Tasse Kaffee. Sie pickte die Bagelkrümel auf ihrem Schoß auf, aß einige und warf andere aus dem Fenster auf die Straße. Alle Fenster waren heruntergelassen. Nichts half. Ihre Kopfhaut fühlte sich verschwitzt an. Ihre Zehennägel waren zu lang. Ein kleiner weißer Schmetterling flatterte beim Versuch, nach draußen zu kommen, pausenlos gegen die Windschutzscheibe, offenbar vollkommen blind für die vier alternativen Fluchtwege.
Archie hatte sie ausdrücklich angewiesen, vor dem Life-Works Center for Young Women auf ihn zu warten. Sie wollten sich dort treffen und dann zusammen hineingehen. Er hatte ihr vier Mal eingeschärft, nicht ohne ihn hineinzugehen. Aber sie war zu früh da gewesen, und er verspätete sich, und es war heiß.
Archie war eigentlich niemand, der zu spät kam. Er war jemand, dem gelegentlich etwas dazwischenkam. Aber wenn sich dieses Etwas – für gewöhnlich tote Menschen oder mörderische Irre – auf seinen Terminkalender auswirkte, rief er immer an. Er war in dieser Beziehung gewissenhaft. Susan war es nicht. Wenn in ihrem Leben etwas dazwischenkam – für gewöhnlich ein gutes Buch, das sie gerade las und nicht weglegen wollte, oder eine Maniküre –, rief sie nicht an, sondern beeilte sich einfach nur.
Die Sache war eindeutig. Archie hatte entdeckt, dass sie den USB -Stick gestohlen hatte.
Susan wühlte im Fußraum hinter den Vordersitzen, bis sie eine Plastikflasche fand, in der noch etwas Wasser war, und trank einen Schluck. Es war warm und schmeckte ekelhaft. Sie schraubte sie wieder zu und warf sie zurück auf den Boden.
Der Akku ihres iPods war leer, und sie hatte das Ladegerät nicht dabei. Im Radio kam nichts Vernünftiges.
Sie sah auf die Uhr im Armaturenbrett. Sie wartete erst seit fünf Minuten. Es war ihr länger vorgekommen. Sie rauchte ihre Zigarette zu Ende und drückte sie aus. Wie viele Emphyseme würden sich wohl durch Pünktlichkeit vermeiden lassen?
Scheiß drauf.
Sie schlüpfte wieder in ihre Flip-Flops und stieg aus. Der Gehsteig vor dem Haus war brüchig und von Baumwurzeln aufgeworfen. Sie ging am Zaun entlang und schlug dann den Weg Richtung Center ein. Der Garten links und rechts des Wegs schien ausschließlich mit Tomaten bepflanzt zu sein. Sie war die Treppe zur Eingangsveranda halb hinaufgestiegen, als sie Archie hinter sich hörte.
»Ich sagte doch, Sie sollen warten«, sagte er.
Susan zuckte zusammen und drehte sich um. »Autsch«, sagte sie.
Archie sah auf seine Armbanduhr. »Sie konnten nicht zehn Minuten aushalten?«
Er ging an ihr vorbei zur Tür. Alles schien in Ordnung zu sein. Er wusste nichts von dem Stick. Sie würde so tun, als sei alles in Ordnung. Das konnte sie. Sie hatte den größten Teil ihrer Highschoolzeit damit verbracht.
»Wer hat heutzutage überhaupt noch eine Armbanduhr?«, fragte sie. »Ich wette, Sie benutzen noch ein Modem.«
Er trug ein weißes Hemd, das in einer grauen Hose steckte, und Wildlederschuhe mit dicken Gummisohlen. Ein kleines, aufgeklapptes Spiralbuch ragte aus seiner Hosentasche. Das lederne Pistolenhalfter an seiner Hüfte passte zum braunen Ledergürtel. Susan wusste, dass Archie normalerweise ein Sakko anhatte, um die Waffe zu verbergen, aber es war wohl zu heiß dafür. Er erklärte seine Verspätung nicht. Andererseits ermittelte er immerhin in zwei Mordfällen.
»Und, haben Sie es sich angehört?«, fragte Susan.
»Ja«, sagte Archie.
Sie hätte für ihr Leben gern gewusst, was Archie von ihrem Interview mit Gretchen hielt. Sie hatte Hunderte von Fragen hinsichtlich der Umstände von Beatons Verschwinden, das ganze Zeug, das nie in die Zeitung kam. Doch ehe Susan auch nur eine davon stellen konnte, stürzte eine Frau mit grauen Korkenzieherlocken aus der Haustür und ließ das Fliegengitter hinter sich zuknallen.
Sie trug einen langen grauen Rock, eine langärmlige weiße Baumwollbluse und Ohrringe in der Größe von Armreifen. »Sie ist verschwunden«, sagte die Frau zu Archie. »Pearl ist abgehauen.«
Archie erstarrte. »Was?«, sagte er. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und stampfte an der Frau vorbei ins Haus. Susan folgte ihm.
Es gab keine Vorstellung.
Die Frau schien aufgewühlt zu sein, ihre Ohrringe schaukelten.
»Wie lange ist sie schon fort?«, fragte Archie.
»Seit einer Stunde«, sagte die Frau. »Ich meine, vor einer Stunde wurde sie zuletzt gesehen. Ich bin gerade nach oben gegangen, um
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