Sterbensschön: Thriller -
einen Artikel über die Gefahren von Ohrstöpsel geschrieben, und bei diesem Dezibelwert musste Allison mit metabolisch erschöpften Ohrhaarzellen rechnen, was zu Haarzelltod und schließlich zum Verlust der Funktionsfähigkeit des Innenohrs führen würde. Allison sah allerdings nicht aus, als wäre sie einem entsprechenden Vortrag gewachsen.
»Sie wird nicht sehr hilfreich sein«, sagte Bea. Sie senkte die Stimme. »Sie hat Probleme mit Vertrauen.«
»Darf ich mich umsehen?«, fragte Archie.
Susan sah, wie Bea zögerte.
Archie machte einen Schritt auf die Frau zu. »Lassen Sie es mich klar ausdrücken«, sagte er. »Dieses Gebäude gehört Ihrer Organisation. Deshalb darf ich dieses Zimmer ohne richterliche Anordnung durchsuchen, wenn Sie es mir gestatten. Kann ich mich also umsehen?«
»Ja«, sagte Bea. »Natürlich.«
Susan suchte den Raum bereits mit Blicken ab. »Kann ich helfen?«, fragte sie.
»Ja, rühren Sie nichts an«, sagte Archie.
Also sah Susan zu, wie Archie methodisch durch das Zimmer ging, Schubladen öffnete und Oberflächen inspizierte. Als er den Schrank und die Kommode durchsuchte, rief er Bea zu sich und fragte sie, ob sie feststellen konnte, was fehlte. Sie konnte es nicht.
Susan schlich unauffällig zu dem Schreibtisch neben Pearls Bett. Die Tischoberfläche war mit farbigen Strichen übersät, als wären Filzstifte vom Rand einer Seite gerutscht. Susan ging zu Allison und zog ihr die Ohrstöpsel heraus.
»Hey!«, sagte Allison wieder.
»Hatte Pearl ein Tagebuch?«
Allison verdrehte die Augen, diesmal aber richtig. »Niemand führt mehr Tagebuch«, sagte sie, »wir benutzen Facebook.« Sie senkte den Blick. »Sie hatte aber ein Skizzenbuch, in das sie ständig gezeichnet hat.«
»Wo hat sie es aufbewahrt?«
»Weiß ich nicht«, sagte Allison. »Sie hat immer im Bett daran gearbeitet.«
Susan, Archie und Bea drehten sich zu Pearls Bett um. Allison ging wieder daran, ihre Innenohr-Haarzellen zu töten.
»In meiner Teenagerzeit«, sagte Susan, »hatte ich ein Tagebuch, das ich in einem verschließbaren Plastikbeutel in einem Fischstäbchenkarton in unserer Gefriertruhe aufbewahrte.« Sie sah Bea an. »Meine Mutter würde eher Katzenstreu essen, als ein Fischstäbchen anzurühren«, erklärte sie. Sie ging zum Bett. »Darf ich?«, fragte sie, an Archie gewandt.
»Bitte sehr«, sagte Archie.
Susan ließ sich rücklings auf Pearls Bett fallen. Die Federn hüpften und quietschten. Der Schreibtisch war zu ihren Füßen, die Wand links von ihr. Sie überflog den Raum von ihrem Platz aus und hielt nach dem idealen Versteck Ausschau – ein Ort, wo das Buch vor ihrer Zimmergenossin und dem Personal sicher und gleichzeitig leicht erreichbar war. Der Schreibtisch war zu öffentlich. Das Gleiche galt für den Schrank. Susan schob die Hand zwischen Matratze und Wand und tastete umher. Nichts. »Helfen Sie mir«, sagte sie zu Archie und stand auf. Sie zogen das Bett einen halben Meter von der Wand fort.
Dann spähten sie über das Bett hinweg. Schwarze Abriebe auf der blauen Wandfarbe kennzeichneten die Stelle, wo ein schwarzes Skizzenbuch mit festem Einband ein ums andere Mal herausgezerrt und wieder hineingerammt worden war.
»Es ist nicht mehr da«, sagte Susan und fügte, um sich unmissverständlich auszudrücken, hinzu: »Sie hat nicht die Absicht zurückzukommen.«
29
Susan legte den Kopf an Leos Wohnungstür und läutete. Ihren Laptop hatte sie unter den Arm geklemmt, das weiße Kabel zog sich wie ein Schwanz den Flur entlang.
Sie fühlte sich aus vielerlei Gründen zu Leo Reynolds hingezogen. Er war schön, auf eine vampirhafte Weise: blass und dunkelhaarig, mit hellen Augen und einer Nase, wie man sie auf römischen Münzen sah. Er war immer gut angezogen und kaufte Anzüge, die mehr wert waren als Susans Auto. Er war schwer zu fassen und immer auf der Hut, was ihn irgendwie geheimnisvoll und rätselhaft wirken ließ. Die Leute hielten ihn für einen Schurken. Seine Frauen vor Susan waren hauptsächlich Stripperinnen und Nutten gewesen. Er hatte Eroberungen gehabt, keine Freundinnen. Susans eigene sexuelle Geschichte wirkte im Vergleich dazu eindeutig puritanisch. Sie war eine jungfräuliche Blume. Das war eine willkommene Abwechslung. Susan war es gewohnt, dass sie der schlechte Einfluss war. Leo war der erste Freund, der glaubte, sie sei ein besserer Mensch als er. Er war außerdem reich. Oder zumindest war sein Vater reich.
Aber was sie im Augenblick am attraktivsten an
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