Sterbenswort: Thriller (German Edition)
der Brücke, dort wo S- und Regionalbahnen unmittelbar unter ihr ihren Weg kreuzten, hatte sie stets den Blick gesenkt. Sie hatte sich nicht überwinden können, nach links oder rechts zu sehen. Unmöglich für sie, nicht an die damalige Winternacht zu denken.
Und heute fiel ihr der Gang noch schwerer.
Denn dort oben wartete jemand auf sie. Eine Person, die das dunkle Geheimnis mit ihr teilte.
Kathrin hatte gegen den Ort des Treffens protestieren wollen, aber die Widerrede war ihr im Hals stecken geblieben.
Warum?
Eine Art Masochismus?
Die Erkenntnis, sich der Situation stellen zu müssen?
Sie wollte dies so schnell wie möglich hinter sich bringen und zurück nach Spandau, in den sicheren Schoß ihrer Arztpraxis; dort hatte es – anders als in ihrer Wohnung – bislang keine auffälligen Ereignisse gegeben.
Von weitem sah sie die Person, die sich tapfer über das Geländer beugte und nach unten blickte.
Kathrin spürte die sommerliche Hitze auf Kopf und Armen und fror.
Heute konnte sie deutlich erkennen, dass Amelie im Laufe der Jahre zugenommen hatte.
Als hätte sie Kathrins Näherkommen bemerkt, drehte die frühere Freundin ihr nun den Kopf zu.
Kathrin erschrak über Amelies Blässe.
Ob sie selbst genauso bleich wirkte?
Sie nickten sich wortlos zur Begrüßung zu, in Kathrins Nase erneut der Geruch nach Seniorenheim.
Dann drehte sich Amelie weg und sah wieder nach unten.
Plötzlich war alle Eile aus Kathrin gewichen, sie kam zur Ruhe und folgte Amelies Beispiel.
So verharrten sie schweigend, bis Amelie sich irgendwann leise zu Wort meldete.
»Ich sehe immer noch, wie er fällt. Wie er im Schneetreiben verschwindet.«
Ich auch, dachte Kathrin.
»Egal, ob ich die Augen schließe oder ob ich sie geöffnet halte.«
Kathrin ertappte sich dabei, dass sie ebenfalls ihre Lider zugedrückt hatte. Tapfer blickte sie nun nach unten auf die Gleise, die seinerzeit nicht zu sehen gewesen waren.
»Egal, ob ich hier stehe oder zu Hause im Bett liege; immer sehe ich, wie Erik fällt«, wiederholte Amelie ihre eigenen Worte.
Kathrin wusste genau, was sie meinte.
Als wolle er ihre Seelenpein vergrößern, näherte sich ratternd ein Regionalzug und passierte die Brücke, um in den nahe gelegenen Ostbahnhof einzufahren.
Nachdem er verschwunden war, reckten sich die beiden Frauen und sahen sich an.
»Ich wollte dir zeigen, wo ich Erik gesehen habe.«
So wie Amelie es betonte, schien sie inzwischen sicher zu sein, dass es sich tatsächlich um den gemeinsamen Freund gehandelt hatte.
Schweigend gingen sie weiter bis zum U-Bahnhof.
Zwischen einem Fahrkartenautomaten und einer Werbefläche blieb Amelie stehen.
Sie beugte ihr Haupt.
»Genau hier ist es gewesen.«
Amelie starrte auf die Stelle, als könnte sie das Gesehene wieder heraufbeschwören.
In Kathrin wuchs der Widerstand. Wie gerne hätte sie Amelie widersprochen. Wie gerne hätte sie ihr gesagt, dass es sich keinesfalls um Erik hatte handeln können, dass Erik tot war, tot und begraben.
Doch sie nahm Amelies Aussage stillschweigend zur Kenntnis.
»Und er hat mir in die Augen gesehen.«
Kathrin nickte.
Amelie drehte sich um sich selbst, als könne sie Erik irgendwo zwischen all den Menschen entdecken, die hier an der Endhaltestelle der U1 umstiegen.
Dann ließ sie ihre Schultern sinken.
»Du glaubst mir nicht?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Kathrin und überlegte kurz, bevor sie weitersprach.
»Ich möchte es nicht glauben.«
»Und was ist damit?«
Erst jetzt bemerkte Kathrin, dass Amelie die ganze Zeit über schon ihre Hand zur Faust geballt hatte. Nun streckte sie sie ihr entgegen und öffnete sie.
Amelies Freundschaftsring.
In ihrer eigenen Handfläche wurde es heiß.
Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie ihren eigenen Ring aus der Handtasche geholt hatte.
Sie streckte Amelie ihre Hand entgegen und präsentierte ihr Pendant.
Sah man genau hin, konnte man erkennen, dass der eine Ring ein klein wenig größer war als der andere. Ansonsten schienen sie identisch.
›Amelie‹ und ›Erik‹; dazwischen ein Herz.
»Er lag dort, wo ich ihn vermutet hatte. Deiner ist zweifellos der von Erik, Kathrin.«
23
Damals
I ch weigere mich, das zu glauben.«
»Du hast schon richtig gehört.«
Heinrichs Stimme war deutlich leiser als die von Thomas.
»Ihr habt was?«
»Verdammt noch mal, Thomas, ich kann auch etwas deutlicher werden, wenn du möchtest: Gruppensex, Partnertausch, Gangbang.«
Keine zwei Meter
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