Sterbenswort: Thriller (German Edition)
entfernt saß eine Frau in einem dünnen Wollpullover auf der Bierbank. Als Heinrich sah, dass sie aufmerksam lauschte, senkte er seine Stimme noch weiter. Er beugte sich nach vorn.
»Du kannst dir eine Bezeichnung davon aussuchen. Aber ich glaube, du weißt inzwischen, wovon ich spreche.«
Thomas schüttelte den Kopf.
Er griff nach der Jeansjacke, die neben ihm auf der Bank lag, und schlüpfte hinein. Heinrich spürte ebenfalls den aufziehenden kühlen Wind. Ein erster Vorbote des Herbstes. Möglicherweise der letzte Tag des Jahres, den man unter Sonnenstrahlen im Biergarten hatte genießen können.
Die beiden Freunde saßen im Prater an der Kastanienallee, jeder von ihnen hatte ein Glas dunkles Bier vor sich.
Heinrich spürte, wie sich die Härchen an seinen Armen aufrichteten. Doch er weigerte sich, in seine Cordjacke zu schlüpfen. Gerade so, als könne er dem Herbst auf diese Weise die Stirn bieten.
»Wann war das?«, fragte Thomas nach einer kurzen Pause. Inzwischen sprach auch er gedämpfter.
»Vor sechs Wochen. Als wir auf Rügen waren. Du erinnerst dich?«
»Klar. Ich wäre ja mitgefahren, wenn meine Großeltern nicht an diesem Wochenende ihre goldene Hochzeit gefeiert hätten.«
»Es war so trostlos. Es hat den ganzen Tag geregnet.«
»Ach ja? Und das ist Grund genug, um zu viert in die Kiste zu hopsen?«
Heinrich senkte den Blick.
»Nein, sicher nicht.«
Täuschte sich Heinrich, oder saß die Frau mit dem Wollpullover jetzt näher als noch vor wenigen Minuten?
Er sah wieder auf und beobachtete, wie Thomas die Stirn runzelte.
»Was denkst du?«
»Nichts Gutes!«
Nach ein paar Sekunden fuhr er fort.
»War das, als ihr zum ersten Mal …?«
Der Name der Droge schien ihm nicht über die Lippen zu wollen.
»Ja.«
Inzwischen hatte Erik wiederholt LSD mitgebracht. In der Küche der Wohngemeinschaft hatten die fünf Freunde es zu sich genommen.
»Jetzt verstehe ich so einiges.«
»Was denn?«
»Warum du Erik vorgestern so misstrauische Blicke zugeworfen hast. Und warum du Kathrin so demonstrativ zu dir gezogen hast. So benebelt war ich nicht, dass mir das nicht aufgefallen wäre.«
»Danach ist es wieder passiert.«
»Wie bitte?«
»Nachdem du dich verabschiedet hattest.«
»Und die Initiative ging von Erik aus?«
»Ja«, log Heinrich. Er selbst hatte sicher genauso dazu beigetragen.
»Ich habe auch gesehen, wie du Amelie angestarrt hast.«
Heinrich fühlte sich ertappt.
»Was ist los, Heinrich? Du hast Gefühle für Amelie?«
»Nein«, sagte Heinrich schnell. »Ja«, korrigierte er sich dann. »Seit Rügen.«
»Das war ein großer Fehler.«
»Ja.«
»Wenn du das weißt, warum wiederholst du ihn?«
Thomas erhielt keine Antwort. Inzwischen zogen Wolken auf. An den Nachbartischen standen Gäste auf und sicherten sich schon mal die Plätze unter den hohen, dicht belaubten Bäumen des Biergartens. Auch bei der Frau im Wollpullover hatte die Angst vor der Nässe über die Neugier gesiegt.
»Heinrich, du bist ein intelligenter Mann. Obwohl ich dich selten lernen sehe, bist du einer der Besten in deinem Studium. Hör auf, mit deinem Schwanz zu denken!«
»Es geht mir nicht aus dem Kopf, dass Erik die gleichen Gefühle für Kathrin haben könnte wie ich für Amelie.«
»Davon solltest du nicht ausgehen. Erik liebt Amelie.«
»Ich liebe Kathrin auch!«
»Das muss aufhören!«
Heinrich wusste, was Thomas meinte. Er widersprach nicht.
»Weißt du, wie ich mir vorkomme?«
»Was meinst du?«
»Wie unsere Namensvettern.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
»Thomas Morus und Heinrich VIII . Der mit den vielen Frauen. Du erinnerst dich? An deinen Geschichtsunterricht?«
Heinrich verstand nun, worauf sein Freund anspielte.
»Es gibt sogar eine weitere Parallele.«
Heinrich fühlte sich bereits genervt. Thomas schien zu warten, dass er nachhakte, doch er tat ihm den Gefallen nicht.
Von der fehlenden Reaktion unbeirrt, fuhr Thomas schließlich fort:
»Die erste Frau Heinrichs hieß Katharina, Katharina von Aragón. Sie war die Tochter des spanischen Königs. Heinrich war ihrer überdrüssig und wollte unbedingt eine andere heiraten, Anne Boleyn. Sowohl der Papst verweigerte seine Zustimmung als auch Thomas Morus.«
»Du nervst, Thomas, ständig kommst du mit irgendwelchen geschichtlichen Bezügen daher. Was hat das mit mir zu tun?«
»Es führte für so viele in den Untergang. Heinrich hätte auf Thomas Morus hören sollen.«
Es donnerte. Die beiden zuckten
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