Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
vermutlich immer noch seinen Ausweis an der Kinokasse vorzeigen musste und daher leicht zu unterschätzen war. »Tja, das ehrt mich zwar«, meinte er, »aber was genau verlangen Sie denn nun von mir?«
»Für die Sicherheit meiner Familie zu sorgen, nichts weiter. Machen Sie mit mir meinetwegen, was Sie wollen, aber meine Frau und mein Sohn haben nichts mit dem Ganzen zu tun. Ich will nur, dass Sie sie beschützen. Wenn ihnen auch etwas passiert …« Er beugte sich vor. »Sie müssen mir eines versprechen«, sagte er. »Falls mir etwas zustoßen sollte, sagen Sie meiner Familie bitte, dass es mir schrecklich leidtut.«
»Ihnen wird schon nichts zustoßen.«
»Bitte«, flehte Hofer, »versprechen Sie es mir.«
Sven betrachtete ihn unschlüssig. Dann nickte er. »Wo sind sie jetzt?« Eigentlich erwartete er keine Antwort auf diese Frage, doch Hofer schien ihm wirklich zu trauen.
»Sie sind bei Freunden in der Schweiz.«
Svens Stirn legte sich in Falten. »Weshalb denn ausgerechnet in der Schweiz?«
»Wie gesagt, ich habe Freunde dort. Außerdem würde niemand sie dort vermuten.«
»Trotzdem scheinen Sie sich bei dem Gedanken, sie dort allein zu lassen, nicht wohl zu fühlen.«
»Sie haben doch selbst gesehen, wozu diese Leute fähig sind. Und ich besitze genügend Material, um einige von denen für lange Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Meine Familie wäre ein willkommenes Druckmittel für sie.«
»Na schön«, meinte Sven, »ich rede gleich morgen früh mit meinem Chef und setze mich anschließend mit den Schweizer Kollegen in Verbindung. Die sollen zwei Streifenwagen zu dem Haus schicken.«
»Es ist eine Pension.«
Sven setzte sich in einen Sessel. »Gut, meinetwegen, eine Pension.« In seinem Kopf kreisten Dutzende von Fragen wie ein Schwarm hungriger Vögel, die er am liebsten über Hofer hätte herfallen lassen. Doch er hatte den Eindruck, dass dieser die Fragen von selbst beantworten wollte. Nur eine würde offenbleiben: Konnte er ihm vertrauen?
»Ich kann Ihnen aber keine Straffreiheit garantieren«, sagte er unmissverständlich.
»Das müssen Sie auch nicht. Ich habe meine Strafe längst. Fünf Menschen sind tot, und ich bin mehr oder weniger mitschuldig daran. Für mein Gewissen bedeutet das lebenslänglich.«
»Wenigstens haben Sie noch so etwas wie ein Gewissen.«
»Ja, genau wie Doktor Krämer.« Hofer lachte gequält und griff nach dem silbernen Etui in seiner Jackentasche.
»Bitte nicht!«, sagte Sven energisch. »Seit dem Tod meines Kollegen bin ich Zigaretten gegenüber nicht sehr aufgeschlossen.«
Hofer hielt inne und nickte wortlos. »Ich rauche in letzter Zeit ohnehin zu viel.« Er ließ das Etui wieder in die Tasche gleiten.
»Nur um der Klarheit willen: Waren Sie mitverantwortlich für Dennis’ Tod?«
»Nur in der Hinsicht, dass ich ihn nicht gewarnt habe.«
»Wussten Sie davon?«
»Ich habe es geahnt. An dem Tag, bevor er umgekommen ist, hat er mir vor dem Altenheim aufgelauert und mich bedrängt. Ist nicht gerade zimperlich mit mir umgegangen.«
»Tatsächlich?«, fragte Sven erstaunt. »Was wollte er denn von Ihnen?«
»Mich unter Druck setzen, nehme ich an. Was ihm auch gelungen ist.« Wieder griff Hofer nach seinen Zigaretten, ließ das Etui aber sogleich wieder seufzend in der Jackentasche verschwinden. »Kurz davor hatte ich Sie das erste Mal angerufen. Ich war an diesem Abend ziemlich fertig. Die Geschichte mit der alten Frau hatte mir den Rest gegeben. Irgendwie hatte ich bis dahin wohl immer noch versucht mir einzureden, dass alles gutgehen würde. Stattdessen wurden es immer mehr Tote. Zuerst Jensen, dann die alte Dame, und dann auch noch Krämer. Daran bin ich wohl auch nicht ganz unschuldig. Ich hätte auf ihn hören sollen.« Unruhig rieb Hofer seine zitternden Finger. »Ich hatte schon seit ein paar Tagen das Gefühl, beobachtet zu werden, und ich hatte Angst, der Nächste auf deren Liste zu sein. Also habe ich angefangen, Vorkehrungen zu treffen. Ich habe wichtige Unterlagen und Dateien kopiert und habe angefangen, Telefongespräche aufzuzeichnen, quasi als Lebensversicherung. Als Ihr Kollege mich an diesem Abend abgepasst hat, stand mein Entschluss, meine Familie außer Landes zu bringen, bereits fest. Und dann ist plötzlich wieder dieser Kerl in seinem Wagen aufgetaucht.«
»Welcher Kerl?«
»Vermutlich derselbe, der auch Ihren Kollegen auf dem Gewissen hat. Ich hätte ihn warnen sollen, aber er war so aufgebracht, dass er mich bestimmt nicht ernst
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