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Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde

Titel: Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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Hygienestandard des Heimes ausgefragt hatte, war Sven in sein Büro zurückgekehrt. Erst gegen halb zehn hatte er das Präsidium verlassen und fuhr nun mit seinem Dienstwagen auf die Autobahn. Die Gedanken wimmelten noch immer in seinem Kopf herum wie aufgescheuchte Ameisen, und während die Scheinwerfer des Wagens Löcher in die Dunkelheit frästen, bemühte er sich, sie zu ordnen.
    Aids. Was wusste er darüber? Vermutlich nicht mehr als die meisten anderen. Eine Viruserkrankung, zumindest das passte ins Bild. Sie wurde durch direkten Intim- oder Blutkontakt übertragen. Eine Bluttransfusion? Neben ungeschütztem Geschlechtsverkehr war dies zweifelsfrei die wahrscheinlichste Art der Infektion. Doch für Sven stand es mittlerweile außer Frage, dass die Blutprobe von einem Patienten aus dem Altenheim stammte. Die Zahl 17 auf dem Etikett hatte ihn darauf gebracht. Laut Milenz war das die Zimmernummer von Frau Marek gewesen. Allerdings warf diese Annahme Widersprüche auf. In einem Altenheim wurden seinem Wissen nach keine Bluttransfusionen durchgeführt, und auch dort wurde wie allgemein üblich mit sterilen Einwegspritzen gearbeitet, was ihm Milenz ebenfalls bestätigt hatte. Und da es sich um eine verwitwete Alzheimerpatientin von 73 Jahren gehandelt hatte, war eine Infektion durch sexuellen Kontakt unwahrscheinlich.
    Langzeitüberlebende. Das war der zweite Gedanke, der ihn nicht losließ. Wenn diese Frau nun eine davon gewesen war? Doch wie groß war die Wahrscheinlichkeit, in einem Pflegeheim einen HIV -infizierten Langzeitüberlebenden zu finden? Eins zu einer Million? Und wie wahrscheinlich war es, dass ein durch Alter geschwächtes Immunsystem mit einer tödlichen Krankheit wie Aids fertig wurde, vor einer anderen jedoch kapitulierte? Auch Milenz hatte dazu nicht viel sagen können; er schien überrascht gewesen zu sein, als Sven ihn damit konfrontiert hatte.
    Ein Wort schwirrte Sven immer wieder durch den Kopf und versprach Gewissheit: Exhumierung! Doch angesichts der dünnen Beweislage war es unwahrscheinlich, dass so etwas genehmigt werden würde.
    Als Sven die Autobahn verließ und durch die dunklen Straßen der kleinen Kannenbäcker-Stadt fuhr, ertappte er sich gelegentlich dabei, wie er im Rückspiegel nach möglichen Verfolgern Ausschau hielt. Obwohl er völlig erschöpft war, waren seine Sinne zum Zerreißen gespannt. Doch die Straßen schienen ihm allein zu gehören.
    Sven war es nicht leichtgefallen, Milenz in dem kleinen Besucherraum des Gefängnisses zurücklassen zu müssen. Der Gedanke daran ließ ihm keine Ruhe. Für ihn bestand nicht der geringste Zweifel an Milenz’ Unschuld, doch er konnte nichts für ihn tun. Und allem Anschein nach war er der Einzige, der so dachte. Ganz zu schweigen davon, dass sein Name nach der Auseinandersetzung mit Kilian mit Sicherheit ebenfalls auf der Abschussliste stand.
    Das werden Sie noch bereuen, Herr Kommissar.
    Wieder huschte sein Blick zum Rückspiegel, und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Angst kroch von neuem eisig an seiner Wirbelsäule empor und verdichtete sich in seiner Brust zu diesem drückenden Gefühl. Er atmete ein paarmal tief durch, ohne den Blick vom Rückspiegel abzuwenden. Und einen winzigen Moment lang glaubte er, Dennis’ tote Augen darin zu erblicken, die ihn aus ihren verkohlten Höhlen düster anstarrten. Erschrocken drehte er sich um, doch der Rücksitz war leer. Und durch die Heckscheibe sah er nach wie vor nur die dunkle Straße hinter ihm. Erleichtert drehte er sich wieder nach vorn, um vor Schreck zu erstarren. Er befand sich auf der Gegenfahrbahn und hielt geradewegs auf die Leitplanke zu, die die Straße auf beiden Seiten begrenzte. Instinktiv trat er auf die Bremse und riss das Steuer nach rechts. Ein fürchterliches schabendes Geräusch war zu vernehmen, und er dachte, er hätte die Leitplanke gestreift. Dann jedoch begriff er, dass es nur das elektronische Kreischen des Antiblockiersystems war. Etwa hundert Meter weiter hielt er in einer Parknische und lehnte sich erschöpft auf das Lenkrad.
    Verdammt , dachte er, während der Schock langsam aus seinen Gliedern wich. Ich werde verrückt, ich drehe vollkommen durch!
    Nein, er war nur übermüdet, er brauchte Schlaf, nichts weiter. Nur eine Nacht , flehte er den Dämon in seinem Inneren an. Lass mich nur eine Nacht durchschlafen, bitte!
    Sein Magen gab seltsam hohle Geräusche von sich, und ihm fiel wieder ein, dass er seit dem Mittag nichts mehr gegessen hatte. Und

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