Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
»Erzählen Sie mir etwas über die Soheim GmbH. Oder ist das auch eins von Ihren Geheimnissen, das Sie nicht vor Sonnenaufgang preisgeben?«
Hofer war ihm in die Küche gefolgt. Jetzt zögerte er einen Moment. »Offiziell ist die Soheim GmbH eine Gesellschaft für Sozialimmobilien und Heimbau«, gab er schließlich nach. »Inoffiziell ist es eine Scheinfirma und dient nur zum Vertuschen. Aber das wissen Sie sicher schon.«
»Das war nicht schwer zu erraten«, erwiderte Sven. Wenigstens konnte er jetzt davon ausgehen, dass Hofer die Wahrheit sagte. »Die haben sich nicht gerade Mühe gegeben, es zu verbergen.«
»Der einzige Fehler, den die bis jetzt gemacht haben.«
»Nein, deren größter Fehler war es, Erik Jensen aus dem Weg zu räumen. Sein Tod hat diese Lawine erst ins Rollen gebracht. Was ich nicht begreifen kann, ist, wie Sie da hineingeraten sind. Ein wohlhabender Familienvater mit Verantwortung. Was hat Sie dazu bewogen, sich auf einen Mord einzulassen?«
Hofer stellte seine halbvolle Flasche auf der Küchentheke ab. »Tja«, seufzte er, »ich wünschte, ich könnte jetzt sagen, dass ich es für einen guten Zweck getan habe oder zum Wohle der Menschheit. Aber mir ging es schlicht und einfach ums Geld.«
»Geld? Wofür? Noch ein Haus, noch ein Auto? Wie viel Geld kann ein Mensch ausgeben?«
»Können Sie sich vorstellen, was es kostet, so ein Altenheim zu bauen und zu betreiben, Herr Kommissar? Und dann noch die vielen Genehmigungen und Verordnungen. Ich sage Ihnen, in diesem Land kann man nicht mal einen Flohmarktstand aufbauen, ohne vorher einen Antrag zu stellen. Und alle wollen Geld! Behörden, Ämter, Kommunen … Ich dachte immer, als Unternehmer wird man gefördert, aber das können Sie vergessen. Was man an Förderungen bekommt, muss man für Baugenehmigungen und hirnrissige Sicherheits- und Brandschutzauflagen hinblättern. Wussten Sie eigentlich, dass es vorgeschrieben ist, Gasflaschen in einem Stahlkäfig zu lagern? Es reicht nicht aus, sie in einem eigens dafür errichteten Unterstand abseits des Gebäudes unterzubringen, nein, man muss auch noch einen verdammten Käfig um die Dinger ziehen!« Sein Gesicht lief vor Zorn rot an. »Irgendwann geht dieses Land noch an seinen Vorschriften zugrunde. Ich bin wirklich ein gewissenhafter Mensch, aber auch bei mir ist einmal die Grenze erreicht.« Erregt strich er sich über das hagere Kinn. Sven sah, dass seine Finger zitterten. »Irgendwann musste ich mir dann eingestehen, dass ich mir selbst etwas vormachte«, erzählte Hofer weiter. »Das Projekt war von Anfang an eine einzige Katastrophe! Schon bei den Ausschachtungsarbeiten wurden giftige Industrieabfälle gefunden, die vor Jahren von einer Reifenfirma mit Genehmigung dort entsorgt worden waren. Die Stadt wusste davon, hielt es aber nicht für nötig, uns rechtzeitig zu unterrichten. Was ursprünglich als Bauland galt, entpuppte sich als Giftmülldeponie. Das verseuchte Erdreich musste komplett abgetragen und erneuert werden. Die Stadt hat natürlich nur einen Teil der Kosten übernommen. Angeblich gab es rechtliche Unklarheiten. Die juristische Umschreibung für › Pech gehabt ‹ . Und Pech hatten wir reichlich. In dem Jahr, als die Bauarbeiten endlich beginnen konnten, hatten wir den härtesten Winter seit fünfzehn Jahren. Wochenlang Minusgrade, und viele Arbeiten mussten buchstäblich auf Eis gelegt werden. Mitte Februar hat dann auch noch das Bauunternehmen Konkurs angemeldet, was das Ganze weiter verzögert hat. Die Kosten sind explodiert, lagen bereits ein Drittel über dem, was ursprünglich veranschlagt worden war. Einige Investoren sind abgesprungen, und mir war klar, dass es in diesem Stadium nicht leicht sein würde, neue aufzutreiben. Bald hatte ich fast mein gesamtes Vermögen in dieses Heim investiert. Aber auch das hat nicht gereicht.«
Er machte eine Pause und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Und dann sind plötzlich Leute von dieser Firma bei mir aufgetaucht. Sie haben mir angeboten, den Großteil der Schulden zu übernehmen und das Heim fertigzustellen. Außerdem haben sie vorgeschlagen, mir die Leitung zu übertragen, und haben mir Mitspracherecht zugesichert. Allerdings müsste ich mich auf einen kleinen Deal einlassen. Nichts Tiefgreifendes. Nur so eine Art stumme Übereinkunft. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich mich auf alles eingelassen, wenn es mir geholfen hätte! Wenn der Lebenstraum den Bach runtergeht, greift man nach jedem Strohhalm. Also habe ich zugestimmt.
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